2007-08-08

Relativität des Glaubens - "Jeder soll glauben, was er möchte"?

"Mir tut mein Glauben gut, ich fühle mich wohl, wenn ich bete".
"Ist doch egal, was man glaubt - Hautpsache man glaubt"

Das Hauptsache-Man-Glaubt-Paradoxon

In einer Online-Diskussion, in der es um das Thema Glauben geht und in dem recht unterschiedliche Leute ihre Glaubensansätze vorstellen, wurde ich neulich mit der heutzutage öfter zu hörenden Meinung konfrontiert, dass jeder ruhig glauben soll, was er möchte, wenn ihm denn sein Glaube gut tut, er sich damit wohl fühlt.
Derjenige, der dies mitteilte, betete selbst zu Gott - zumindest zu dem, was er sich darunter vorstellte- und hatte die Erfahrung gemacht, dass er sich dadurch wohlfühlte.
Nennen wir ihn hier einmal Axel.

Obwohl ich schon vorher gehört habe, dass diese Ansicht heutzutage oft vertreten wird, hat sie mich in der laufenden Diskussion ziemlich verwirrt als ich direkt mit ihr konfrontiert wurde, denn sie enthält für mich eine ziemliche Paradoxie:
  1. Axel glaubt selbst an etwas, nämlich an das, was er als "Gott" bezeichnet, und zu dem er betet.
  2. Axel meint, dies täte ihm gut, und wenn jemand anderes z.B. an seinen Toaster glauben würde, dann wäre das auch ok, Hauptsache er glaubt, und es tut ihm gut.
  3. Aus (2.) folgt, dass eigentlich unwesentlich ist, woran man glaubt, solange man nur an irgendetwas glaubt.
  4. Wenn Axel nun also an seinen "Gott" glaubt -nach eigener Aussage in (1.)- aber gleichzeitig behauptet, dass der konkrete jeweilige Glaubensinhalt (gem. 2.) völlig belanglos ist, dann behauptet er also auch, dass sein "Gott", an den er glaubt, völlig belanglos ist.
  5. Daraus folgt, dass er gar nicht mal von der Annahme ausgeht, dass sein "Gott" wirklich existiert und irgendeine Bedeutung für sein Leben hat.
Wie kann Axel aber zu einem Gott beten, vor allen Dingen, wenn es ihm schlecht geht, von dem er gleichzeitig ausgeht, dass es belanglos ist, ob es ihn gibt - dass es ihn wahrscheinlich sogar eher nicht gibt?

Würde Axel nämlich davon ausgehen, dass sein "Gott" existiert, dann stieße er auf folgendes Problem:
  1. Wenn ich davon ausgehe, dass mein "Gott" wirklich existiert, dann existiert er außerhalb meiner selbst (eine Annahme) oder aber gleichermaßen wie in mir auch in jedem anderen Menschen (andere Annahme).
  2. Dann existiert er aber auch unabhängig von mir als Individuum, und ich muss davon ausgehen, dass er somit auch genauso wirklich in Bezug auf andere Menschen existiert, d.h. aus Sicht dieses "Gottes" steht er nicht nur mir, sondern der gesamten Menschheit gegenüber.
  3. Mein "Gott" existiert dann nicht ausschließlich für mich, und er hat dann wohl wahrscheinlich nicht nur ausschließlich Interesse an mir, denn das anzunehmen wäre überaus arrogant.
  4. Dann wäre es aber nicht bedeutungslos, ob andere Menschen an diesen Gott glauben und zu ihm beten, oder z.B. zu einem Toaster. Denn wenn sie nicht an diesen Gott glauben und nicht zu ihm beten, leben sie an der Wirklichkeit vorbei, von der ich aber ausgehe, dass sie existiert und von Bedeutung ist. Sie verpassen demnach -aus meiner Sicht- ein wesentliches Element der Wirklichkeit.
  5. Das wiederum kann mir zwar moralisch gleichgültig sein (sozusagen: sollen sie doch zur Hölle gehen), aber ich kann logisch nicht mehr von der Gleichwertigkeit der Glaubensinhalte ausgehen, wie es das "egal was man glaubt" zunächst vorausgesetzt hat.
Axel kann also nicht wirklich von der Existenz seines "Gottes" ausgehen.
Der Inhalt des Glaubens -jeglichen Glaubens- wird also zwangsläufig als völlig irrelevant erklärt. Glaube wird jeglichen Inhaltes beraubt, denn kein Glaubensinhalt, nicht mal Axels eigener, kann so als wahr und gültig dargestellt werden. (*)

Die Antwort steckt wohl in dem Zusatz: "Hauptsache ist doch, man glaubt", wozu Axel wahrscheinlich dann mit denselbigen zuckt.

"Die Kraft kommt aus dem Glauben" - ist dann die Aussage, die man dazu zu hören bekommt, und der dann, weil sie so schön spirituell klingt, auch gerne applaudiert wird.

Sie ist letztlich selbst eine Glaubensaussage, und kann auch als solche formuliert werden:
"Ich glaube an die Kraft des Glaubens"

Dies wiederum können wir reduzieren zu: "Ich glaube an den Glauben"

Diese Aussage, im Zusammenhang mit dem darüberliegenden, ist aber in meinen Augen sinnentleert, und hier entsteht meine Verwirrung.

Was ist Glaube?

Ein anderer Diskussionsteilnehmer formlierte die Antwort darauf später so (**)
Der Sinn des Glaubens ist, etwas zu finden, zu erkennen, was mir Halt gibt. Lernen zu verstehen, warum die Dinge sind wie sie sind, warum das Leben genauso ist wie es ist, verstehen zu lernen, dass "alles einen Sinn" hat ........ letztlich zu erkennen, dass da etwas "Größeres" ist, als ich es sehen kann und eben in der Meditation kann ich es finden.
Diese Formulierung, ob man ihr hundertprozentig zustimmt oder nicht, zeigt jedenfalls eines:
Glaube ist eine Suche nach einem Etwas und nach Antworten auf Warum-Fragen.

Wenn ich aber auf der Suche nach diesem Etwas bin, oder nach der Antwort auf das Warum, dann setzt das voraus, dass ich von der Existenz dieses Etwas und des Warum prinzipiell erst einmal ausgehe.

Dann gibt es aber keinen Glauben ohne Inhalt, denn das ist der Inhalt.

Glauben ist also immer eine Menge von Aussagen der Form "Ich glaube an ..."
Glaube ist immer ein Etwas (ein Ding, ein Sachverhalt, eine Wahrheit), an das ich glaube.

"Ich glaube an den Glauben" wird somit zu einer sinnlosen Aussage, denn ich könnte sie ersetzen durch:
"Ich glaube an das, an das ich glaube" oder sogar "Ich glaube daran, dass ich glaube" und wäre keinen Schritt weiter.
Ich stecke in einer Schleife und laufe mich tot. Guten Morgen, es ist Murmeltiertag.

Definieren wir Glauben mal (im Gegensatz zum Vermuten) als das Vertrauen auf etwas oder gar das vertrauensvolle Hinwenden zu etwas, z.B. eine höhere Macht, wird das Ganze noch deutlicher.

Dann folgt aus: "Ich glaube an die Kraft des Glaubens" letztlich "Ich vertraue auf das Vertrauen", und Baron Münchhausen zieht sich also an den eigenen Haaren aus dem Sumpf.

Wo kann ich mich denn festhalten, wenn ich falle? Ach ja, an meinem eigenen Arm.

Die Inhalte - völlig egal?

Auch ein weiterer interessanter Punkt:
In einer Antwort formulierte Axel seine Ansicht noch einmal, ohne besondere Absicht aber mit einem Zusatz:

"Es ist doch egal an was ein Mensch glaubt, solange es ihm gut geht dabei, und er niemanden verletzt." (**)

Hier haben wir auf einmal einen einschränkenden Zusatz: er darf niemanden verletzen.

Wenn es -nach Axels Ansicht- völlig egal ist, woran ich -im Unterschied zu Axel- glaube, dann kann ich auch daran glauben, dass ich jetzt jeden Monat einen Menschen töten muss, wenn ich mich nur wohl dabei fühle.

Nach der ersten Aussage wäre mein Glaube genauso gut wie seiner. Er müsste es also eigentlich tolerieren, wenn ich ihn umbringen wollte. Dieses Problem hat er aber nun plötzlich durch diesen Zusatz ausgeschaltet.

Axel geht also davon aus, dass ein Mensch nicht verletzen darf. Oder anders: Dass dessen Glaube von ihm keine Verletzung fordern darf.

Axel glaubt also, dass es "gut" ist, niemanden zu verletzen. Er glaubt scheinbar an friedliches Miteinander und macht diesen seinen Glauben zur allgemeinen Regel.
Und ganz plötzlich hat Axels Glaube einen Inhalt, von dem er fordert, dass andere Menschen ihn teilen.
Herzlichen Glückwunsch Axel, du hast den kategorischen Imperativ entdeckt!
Plötzlich ist für Axel der Glaubensinhalt nicht mehr egal, und er kann sein eigenes Postulat nicht aufrecht erhalten. Es ist eben nicht egal, woran man glaubt. Es reicht eben nicht aus, dass man selbst sich dabei wohl fühlt.




(*) Dies funktioniert nicht nur für Axels Glaube an "Gott", sondern auch für andere Glaubensinhalte, z.B. den, dass alles, was ich denke und tue in eine universelle "Weltenseele" einfließt und diese formt. Auch dieser Glaube hat zur Folge, dass er nicht nur für mich sondern für alle Menschen relevant ist.
(**) Ich zitiere hier bewußt ohne Quellenangabe, die Aussagen sind aber tatsächlich so gemacht worden und nicht von mir erfunden.

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