2008-05-28

Trauerfeier oder Party? Kommentar zu: Laut gedacht

Matthias hat auf seinem Blog einen ersten Artikel zum Thema Jugendliche im Gottesdienst

Für einige Mitmenschen vielleicht zu provokant, aber der Artikel ist einfach ehrlich.

Ich möchte hier einfach ein paar Gedankenschnipsel danebenstellen, als Ergänzung, Kontrast, und zum Weiterdenken.

geschrieben.
Demnach muss es also eine dritte Art von Feier geben. Eine Feier bei der man eine Stunde lang auf einem Stuhl sitzt nur hin und wieder aufstehen darf/muss.

Genau. Eine solche Feier gibt es auch. Und zwar auch außerhalb von sakralen Kontexten. Nehmen wir als Beispiel sowas wie die Bambi-Verleihung.

Oder vielleicht ist das doch eher die erste Art Feier?

Wie passt das zusammen? Nun, die Oberkategorie passt eher zur Trauerfeier, und unterscheidet sich von der Party.
Es handelt sich um eine Form von Fest oder Feier, die man mit dem Begriff "Zeremonie" bezeichnen kann.

Dort wo etwas "gefeiert" wird im Sinne von: "zelebriert".
Wo jemand "gefeiert" wird, also geehrt. Solche Leute, die man ehrt und feiert, nennen die Engländer darum auch "celebrities".

In dieser Kategorie treffen sowohl die Trauerfeier als auch die Hochzeitsfeier(!) aufeinander, wobei letztere trotz der "Feierlichkeit" der Situation fröhlich gemäss dem Anlass abläuft.

Sie ist höchst feierlich, aber eine Freude. Ein besonderer Jubeltag.

Worum es nun beim Gottesdienst geht ist nicht, ihn in eine einfache typische "Party" zu verwandeln, wo alle lachend und flirtend in den diversen Ecken rumstehen, Hauptsache die Musik ist gut, die Leute sind gut drauf und Snack und Drink ist ausreichend da.

Aber du hast recht: Normaldeutsche Gottesdienste gleichen oft eher der Trauerzeremonie als dem Jubeltag.

Man stelle sich vor, dass man nach einer langen, politischen Unruhe endlich wieder einen König auf den Thron bekommt, einen Führer, einen Ehrenmann. Jemand, den man achtet und den man ehren möchte (warum fällt mir jetzt Herr-der-Ringe ein? ;-) ).

Wir müssen uns fragen:
Gleichen unsere Gottesdienste einer Krönungszeremonie?

Warum nicht?

Haben wir verlernt, über Gott zu jubeln? Haben wir verlernt, jemandem wirklich die Ehre zu erweisen?

Die Frage geht eigentlich noch tiefer: Haben wir noch das Empfinden für Ehre? Für Hochachtung vor jemandem, den wir als "Persönlichkeit" ansehen? Für Respekt?

Ich denke nicht, dass das völlig abhanden gekommen ist.
Aber die Frage ist dann: Wie sieht heutzutage ein solches Zelebrieren aus?

Nun, nur mal ein kleines Beispiel, als Anregung zum Weiterdenken:
Wir sind an Konzertvorstellungen gewöhnt, an Gala-Shows, an Preisverleihungen, und viele ähnliche Zeremonien.
Ein wesentliches Element dieser Erfahrung ist immer der Applaus. Mit Applaus drücken wir unseren "Beifall" aus. Unseren Jubel. Unsere Freude.

Wie kann es also sein, dass immer noch Leute versuchen, den Applaus aus den Gottesdiensten zu verbannen, weil er nicht "feierlich" genug ist. "Weil wir ja Gott loben wollen, und nicht etwa z.B. die Band". Und was für Argumente man auch zu hören bekommt.

Feierlichkeit, Achtung, Jubilieren, ausgedrückt durch stumme Stille? Emotionslose Reglosigkeit?

Ein Brückenschlag zwischen dem sakralen Gottesdienst und dem zeitgemäßen Zelebrieren ist sicher das, was wir in der "Praise and Worship" Bewegung vorfinden.
Das Wort "Lobpreis" gibt es schon wieder, dass es da um genau die Dinge geht, die ich oben angesprochen habe. Loben und Preisen. Achtung und Ehre deutlich zeigen.

Aber ein Gottesdienst besteht nicht nur aus "Worship".
...weil ein Gottesdienst nicht oberflächlich bleibt. Er geht in die Tiefe und berührt die Menschen da wo sie sind.
In meinen Augen ist das ein ganz wesentlicher Aspekt! Die Menschen werden berührt!

Immer wieder habe ich aber in Gesprächen über Gottesdienstgestaltung den Eindruck, dass man mir (und durch mich bitte auch den Jugendlichen) vermitteln möchte, dass ich mich durch die verwendeten Elemente doch bitteschön berührt zu fühlen habe.

Wenn mich (oder meine jugendlichen Freunde) der Gottesdienst nicht mehr berührt, dann ist
bei uns was falsch! Dann stimmt was mit unserer Einstellung zum Gottesdienst nicht.

Nun behaupte ich aber: Wenn ein Gottesdienst es erfordert, dass man ihn langwierig und umständlich erklärt, damit er auch nur halbwegs von einem Außenstehenden verstanden werden kann, wenn ein Gast von der Straße erst aufwändig "eingestellt" werden muss, um mit dem Gottesdienst umgehen zu können, dann ist in meinen Augen vom Grundansatz her etwas falsch.

Dann wird das Zeremoniell des Gottesdienstes vielleicht vom Verstand her irgendwann einmal erfasst, aber genau dieser Effekt ist es doch, der uns dem Vorwurf aussetzt, alles nur "vom Kopf her" zu begreifen.

Viele Rituale in unseren Gottesdiensten entspringen nicht mehr unserem natürlichen Bedürfnis des Ausdrucks.

Wo klingt der Festredner in seiner Dankesrede wie Goethe im Original?

Und mal ganz ehrlich: Wo machen wir denn in unserer Gesellschaft die Erfahrung, dass wir zur Ehre eines Preisträgers oderwasauchimmer gemeinsam "die eingerückten Verse" lesen??
(Ich habe mal jemanden mit meinem Bekenntnis schockiert, dass das multivokale Sprechen von Texten bei mir immer Unwohlsein auslöst, weil ich mich eher an Alien- oder Horrorfilme erinnert fühle, als an gemeinschaftlichen Lobpreis).

Gleiches wie für die Zeremonien gilt für unser Liedgut. Ich glaube nicht, dass einem Gast von Außen (oder einem unserer eigenen Jugendlichen) klar ist, was es heißt, wenn wir singen: "Alles was Odem hat, lobe mit Abrahams Samen".
(Und mal ganz unter uns, lieber Leser, ich möchte lieber nicht wissen, welche Gedanken ihnen beim zweiten Teil des Satzes durch den Kopf gehen...).

Ich meine also: Berührt wird der Gottesdienstbesucher dadurch, dass er die Möglichkeit bekommt, sich in seiner natürlichen Sprache auszudrücken. Dass er erlebt, wie die anderen um ihn herum ehrlich ihrer Beziehung zu Gott Ausdruck geben. Und dadurch, dass er sich in der Predigt in der ihm verständlichen Sprache angesprochen fühlt.
Angesprochen - sowohl wörtlich verstanden (der Inhalt ist an ihn gerichtet), als auch übertragen: Was gesagt wird, [be-]trifft ihn in seinem Bezugsrahmen, seiner Erlebniswelt.

Ein ganz generelles Problem habe ich schließlich mit dem "Jugendgottesdienst" Begriff, stelle ich in Einzelgesprächen doch immer wieder fest, dass das ganze Thema keines der "Jugendlichen" (sprich: bis maximal Mitte 20) ist, sondern diese und ähnliche Kritik immer wieder aus den Reihen des mittleren Alters zu hören ist.

Ich frage mich also: Wann werden wir lernen, intensiv Augen und Ohren zu öffnen, und uns Gedanken darüber zu machen, was denn die Erlebniswelt, was der Bezugsrahmen unserer Gottesdienstbesucher ist?

Wo findet diese Debatte statt, ohne dem Besucher einen vorgefertigten Bezugsrahmen überstülpen zu wollen?

2008-05-08

"Der Eine" Gottesdienst? - Willow Creek verändert Gottesdienstkonzept

Heute morgen flatterte mir der aktuelle Willow-Creek Newsletter in die Inbox, indem bereits zu Anfang eine interessante Neuerung in der Gottesdienst-Ausrichtung bei WC zu lesen ist.

Dort heißt es:
Wärend der vergangenen 30 Jahre gab es in Willow Creek zwei unterschiedliche Gottesdienstangebote. Am Wochenende fand der Gottesdienst für Suchende statt, der sich maßgeblich auf die Bedürfnisse von entkirchlichten Menschen ausgerichtet hatte. Während der Woche gab es den Gottesdienst für die Gläubigen "New Community", in dem Anbetung, Lehre und die Feier des Abendmahls ihren Platz hatten. Viele Jahre hat diese Aufteilung der Gemeinde gut gedient.

Mittlerweile sind jedoch die Bedürfnisse der Gläubigen so unterschiedlich geworden, dass eine zentrale Veranstaltung nicht mehr in der Lage ist, all diesen Bedürfnissen angemessen zu begegnen. Dies hat unter anderem die Studie "REVEAL" zutage gefördert.
Ich bin gespannt, wie sich diese "neue Erkenntnis" denn wiederum auf unsere Gemeinden auswirken wird, die ja gerne mal den neuesten Willow-Trends hinterherlaufen.

Warum "neue Erkenntnis" in Anführungszeichen?
Nun, letztlich hat WC da nicht eine völlig überraschende Weisheit aus dem Hut gezaubert, sondern übernimmt nur, was andere ihnen bereits als Kritik vorgekaut haben.

Der Gedanke, dass "der Eine" Gottesdienst zwar eine löbliche Absicht ist, aber in der Praxis nicht trägt, haben wir vom Jugendbereich unserer Gemeindeleitung schon länger versucht klar zu machen. Zu diesem Zweck versuchten wir, aus Dan Kimball's Buch zur Emerging Church zu zitieren, aber kamen nicht weit.

Nicht mehr "der Eine" Gottesdienst? Kam gar nicht in Frage. Inzwischen sieht man auch dies zumindest ein
klein wenig lockerer.

Eine kleine Auseinandersetzung mit diesem Thema ist auch in meinem Artikel
JA-GoDi: Gottesdienst - neutestamentlich (Teil 1) zu finden.

Irgendwie wird der Widerspruch in den Ansprüchen einfach nicht deutlich:
  • Man will -auch gerade jungen Menschen- vermitteln, wie wichtig regelmäßige Gottesdienst-Teilnahme für das Gemeinschaftserleben und für die Beständigkeit im Glauben ist.
  • Darauf hingewiesen, dass Jugendliche mit dem "Großen" Gottesdienst nur wenig anfangen können und einen anderen Stil und andere Formen bevorzugen, heißt es dann: "Ja, aber dafür haben wir doch die JesusHouse Parties" (einmal im Vierteljahr !)
Da runzelt Rudi Ratlos resignierend seine Stirn.

Jetzt bin ich wirklich mal gespannt, ob demnächst bei uns Leute von WC-Kongressen wiederkommen und uns verkünden: "Wir sollten mal drüber nachdenken, ob wir nicht vielleicht verschiedene unterschiedliche Gottesdienstangebote machen sollten ..."

Warum habe ich nur immer das Gefühl, dass christliche Gemeinden ständig hinterherhinken?

Und wie wahr sind doch die Worte: "Der Prophet gilt nichts im eigenen Lande" (Markus 6, 1-4) und "Niemand verachte dich wegen deiner Jugend" (1. Timotheus 4, 12)

Das Problem bleibt allerdings, dass unsere Gemeinden keine Mega-Kirchen mit unendlich Ressourcen sind. Und das mag ein Hindernis sein, dass neue Ansätze und Gedanken bereits in den Kinderschuhen stecken bleiben.

Auch hier ein nettes Zitat aus dem WC-Newsletter, Trailer zu einem WC-Seminar:
[...]Aber viele Gemeinden sind auch in der Umsetzung dieser Vision stecken geblieben. Dies hat vielerorts damit zu Tun, dass zwar Programme verändert wurden, aber nicht die herrschenden Werte in der Gemeinde. Um dauerhaft Veränderung zu erreichen, ist es aber nötig, auf der Werte-Ebene Veränderung zu schaffen.
Da fällt mir der englische Refrain-Text zum Lied Sag mir wo die Blumen sind ein:
"When will they ever learn, when will they ever learn?"