2007-06-29

"Herr Neu-Fromm, sind Sie Christ? - Nein????"

Interviewer: Herr Neu-Fromm, glauben Sie an Gott?

Neu-Fromm: Ja

Interviewer: Glauben Sie an den Heiligen Geist?

Neu-Fromm: Ja

Interviewer: Glauben Sie auch an Jesus Christus?

Neu-Fromm
: Ja

Interviewer: Ah, dann sind Sie also Christ!

Neu-Fromm: Nein

Interviewer: Nein??? - ähm - wie jetzt, Sie glauben an all dies, aber Sie sagen, Sie seien kein Christ?

Neu-Fromm: Ja

Interviewer: Wieso?

Neu-Fromm:
Nun, sehen Sie, wenn ich sage, ich sei kein Christ, dann kann ich in eine Gemeinde gehen, und dort den Gottesdienst genießen. Ich kann mich mit Leuten frei unterhalten, und auch frei meine Gedanken äußern, auch wenn sie nicht ganz auf der Linie dieser Gemeinde liegen. Ab und zu drücken mir Leute einen Flyer mit einer Einladung zu einem Glaubensgrundkurs in die Hand, zu dem ich nicht gehe. Ab und zu sprechen wir auch mal über den Glauben und tauschen unsere Ansichten darüber aus. Oft jedoch nicht. Meist haben wir einfach nur gute Gemeinschaft miteinander, die Mitglieder freuen sich, dass ich da bin und mich beteilige, und darüber hinaus werde ich in Ruhe gelassen.

Auch im privaten Bereich ist das nicht anders. Sollte mich mal jemand beim Beten ertappen oder sowas, ist das kein Akt. Heutzutage ist ja alles möglich, viele glauben ja an die unterschiedlichsten Dinge, und warum auch nicht?
Wenn ich bestimmte Dinge einfach nicht tue oder nicht mitmache, weil ich sie halt nicht vertreten kann, stört das keinen wirklich. Jeder hat halt seine eigenen Vorstellungen von OK und nicht OK, soll halt jeder nach seinen Werten leben. Und wenn ich andererseits bestimmte Dinge tue, weil ich sie für richtig und notwendig halte, die andere leider nicht ohne weiteres tun, dann bewegt sich die Meinung der Umwelt darüber zwischen "nett" bis zu "beeindruckend", und alles ist gut.
Wenn ich bestimmte Gedanken über Gott und die Welt äußere, dann kann man drüber diskutieren, aber wenn die anderen merken, dass man relativ gute Gründe für seine Meinung hat, dann ist das für sie meist OK. Kann man so stehen lassen.
Auch mal emotionale Reaktionen sind durchaus verständlich und akzeptabel, jeder hat halt mal gute oder schlechte Tage und über deftige Worte lachen wir ja eh immer.

Wenn ich jedoch sage, ich sei Christ, dann hat all dies, allein durch diese Aussage, dieses Etikett, schlagartig ein Ende.

Gehst du in eine Gemeinde und sagst, du seist Christ, weiß sofort jeder liebe Mitbruder, wie du dich zu verhalten hast, was du also tun und lassen solltest, wie du zu fühlen hast, besonders anderen Menschen und Verletzungen gegenüber, und wie du zu denken hast, zu diesen und jenen Gesellschafts-Themen, zu diesen und jenen Glaubensthemen, und darüber, wie man die Bibel auslegt. "Du bist ja Christ, ich auch, und damit sind wir uns ja wohl einig, dass meine Ansicht stimmt".

Doch das hört in der Gemeinde nicht auf: Auch die Leute in deinem privaten Umfeld entdecken plötzlich den Fisch auf deinem Auto oder der Jacke, und verkünden dir sofort, wie du dich zu verhalten hast, wie du ja wohl über bestimmte Dinge denkst und was du zu fühlen hast oder nicht. Insbesondere wissen sie plötzlich, dass du ja eigentlich ein naiver Idiot bist, der von fortschrittlichen Erkenntnissen keine Ahnung hat, Argumenten sowieso nicht zugänglich ist, eine fixe Meinung hat, und lieber in einer Welt des frommen Selbstbetruges lebt.
(Manche erklären dir dann auch schonmal, dass du an Hexenverbrennungen, Unterdrückung des Bürgertums und den Kreuzzügen schuld bist).

Letztlich hat also die Aussage, ich sei Christ oder ich sei kein Christ keinerlei Auswirkungen darauf, wie ich denke, fühle, lebe, handle. All dies resultiert so oder so aus meiner persönlichen Erfahrung, Einsicht, Überzeugung, Beziehung zu Gott und meinen Mitmenschen und meinem Charakter.
Letztlich hat die Aussage, ich sei Christ oder ich sei kein Christ einzig und allein Auswirkungen darauf, wie andere Menschen glauben, mich sehen und sich mir gegenüber verhalten zu müssen.

So betrachtet, steht mir also das Etikett "Christ" viel eher im Weg, als dass es mir hilft. Da es, so glaube ich, jedoch nicht darauf ankommt, ob ich ein Etikett -nicht nur bildlich, sondern auch tatsächlich in Form von Aufklebern usw.- mit mir herumtrage, lasse ich dieses einfach weg, und erlebe, wie sich mir viel mehr Wege und Türen zu anderen öffnen.

Interviewer: Aber wenn Sie sagen, Sie seien kein Christ, lügen Sie denn dann nicht?

Neu-Fromm: Nein, eigentlich nicht. Ich bringe die Aussage nur auf eine andere Ebene. Denn letztlich heißt die Frage immer, "bist du Christ, so wie ich mir denke dass einer sein müsste?" Und da kann ich meist mit gutem Gewissen "nein" zu sagen. Ob ich christlich im Sinne eines Nachfolgers Christi bin, zeigt sich sowieso an meinem Leben und Handeln, und nicht an aufgeklebten Etiketten.

Interviewer: Nun, aber letztlich von Ihrem Glauben, Ihren Überzeugungen her sind sie ja doch Christ. Sollten Sie dann nicht auch dazu stehen? Sollten Sie nicht auch gerade durch die Aussage "ich bin Christ" auch öffentlich Ihre Zugehörigkeit zu Christus bekennen? Sollten Sie nicht als Nachfolger des Christus stolz darauf sein, auch dieses Etikett zu tragen?

Neu-Fromm: Sehen Sie? Da passiert es ja schon wieder ... !


1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Oh mann, ja, so geht es zu im frommen Ghetto Deutschlands. Und so hoffe ich auf eine neue Generation von Predigern, Pastoren und Pfarrern, die ihren Gemeinden den Horizont öffnen für ein Bild jenseits von Schwarz und Weiß.