2007-06-18

"Vier Bereiche der Zugehörigkeit" - und Hauskreiszellen

Bin soeben im Blog von Depone auf einen Artikel gestoßen, wo er über die Vier Bereiche der Zugehörigkeit "nach Edward T. Hall, wie sie bei Joseph R. Myers vorkommen" schreibt.

Dabei fiel mir auf, wie unscharf und sensibel die Grenze jeweils zwischen dem sozialen Bereich und dem privaten Bereich, sowie zwischen dem privaten Bereich und dem intimen Bereich, gerade im Umfeld von Kleingruppen und der Gemeinde-Wachstums-Idee durch Kleingruppen, ist.

Nach dieser Idee soll ja, so wird sie vermittelt, jede Kleingruppe in einer Gemeinde
  • immer wieder neue Mitglieder aufnehmen, bis sie eine Größe erreicht, wo die Kleingruppenarbeit faktisch zu groß wird, so dass
  • sie sich in zwei Kleingruppen teilt.
Als Vorbild dient hier das organische Wachstum durch Zellteilung aus der Biologie.

Auch in meiner Gemeinde habe ich solche Teilungen mehrfach erleben können, nicht immer hat es für alle dabei entstehenden neuen Zellen wirklich funktioniert. Und immer war es mit "Trennungsschmerz" (die Verfechter der Idee würden wohl eher von "Wachstumsschmerz" reden) verbunden, d.h. mit einer Art Verlustangst befrachtet.

Gerade Kleingruppen aber sind ein gutes Beobachtungsfeld dafür, wie aus einer Gruppe, die sich aus einzelnen Individuen zusammensetzt, ein eigener Organismus entsteht, die Gruppe als Einheit ein eigenes Wesen entwickelt.

In unserer Jugendarbeit existieren zur Zeit drei Hauskreise mit recht unterschiedlichen Leuten und dadurch als Gruppe sehr individuellen Wesenszügen. Während es dem einen Kreis recht leicht fällt, neue Leute einzuladen und aufzunehmen, ist dies bei einem anderen Hauskreis nicht der Fall.
Die Schwierigkeit der dortigen Teilnehmer, die Grenze nach außen zu öffnen hat schon für etliche Diskussion von außen gesorgt. Die Gruppe stieß auf Unverständnis und Kritik, die Leiter wurden darauf hingewiesen, dass die Gruppe doch eigentlich offen sein müsste und sich wachstumsorientiert verhalten
sollte.

Der oben verlinkte Artikel zu den Vier Bereichen der Zugehörigkeit erlaubt es mir nun, die beobacheten Phänomene etwas klarer zu verstehen.

Zwei Dimensionen scheinen mir dabei von Bedeutung:
  • Die Einordnung der Beziehung der Gruppenmitglieder in einen der vier genannten Bereiche
  • Die Offenheit, neue Personen/Beziehungen in diesen Bereich zu integrieren
Je mehr nun die Gruppenbeziehung in Richtung einer intimen Beziehung tendiert, um so weniger ist die Offenheit für neue Personen gegeben.

Dabei wird natürlich das Verhältnis zwischen diesen beiden Dimensionen durch die Einstellung der Gruppenmitglieder bestimmt. Sind die Gruppenmitglieder durchweg sehr selbstbewußt und extrovertiert, wird die Schwelle für neue Kontakte sehr niedrig sein.

Sind auch nur einige Gruppenmitglieder zurückhaltend, introvertiert, werden schwer warm, gibt es zwei Möglichkeiten:
  1. Sie werden eben wegen ihrer Zurückhaltung bei Entscheidungen übergangen
  2. Ihr Wesenszug wird von der Gruppe wahrgenommen und berücksichtigt.
Im ersten Fall wird die Gruppe auch eine niedrige Einstiegsschwelle haben, aber mit jeder neu aufgenommenen Person wird das Verhältnis dieser zurückhaltenden Mitglieder zum Rest der Gruppe sich auf der Beziehungsskala stark nach oben Richtung öffentlich verschieben. Die Gefahr besteht, dass diese Mitglieder mit ihren Beziehungsbedürfnissen zu kurz kommen und letztlich sogar die Gruppe verlassen (was nach einer erfolgten Teilung gemäß Teilungs-Konzept im Extremfall sogar zwei nicht mehr funktionierende Zellen zurücklassen kann).

Berücksichtigt die Gruppe jedoch das Offenheits-Wesen aller ihrer Mitglieder, ergibt sich automatisch im Verhältnis zur Beziehung eine höhere Einstiegsschwelle für neue Mitglieder, da diese Schwelle eben durch "das schwächste Glied" der Kette bestimmt wird. Die Gruppe sondiert sehr viel sorgfältiger, ob sie eine neue Person in ihrer Mitte aufnehmen will oder nicht.

In der Rückschau hat das Zellwachstums- und Teilungskonzept dort am Besten funktioniert, wo die Gruppenbeziehung sich eher an der Grenze zwischen sozial und persönlich befand und das Selbstbewußtsein der Gruppe als Ganzes hoch war, und hat dort am meisten Schwierigkeiten verursacht, wo die Beziehung sich im Bereich von persönlich bis hin zu intim abspielte und die Gruppenmitglieder als eher zurückhaltend zu charakterisieren waren.

Gerade bei Kleingruppen im Bereich der Teenager-Arbeit scheint mir jedoch die Chance recht hoch, dass in einer Gruppe auf die Dauer sowohl Beziehungen am Übergang von persönlich nach intim entstehen, als auch durch pubertätsbedingte Unsicherheiten und emotionale Unstabilitäten die Schwelle für die Aufnahme neuer Mitglieder recht hoch ist.

Aussagen, wie: "Dann wird sich vielleicht die Atmosphäre hier ändern" oder "Dann sage ich erstmal nichts mehr von mir" drücken dabei die unterschwelligen Empfindlichkeiten aus.

Diese können im Hinblick auf eine funktionierende Arbeit der Gruppe nicht einfach wegdiskutiert, sondern nur aufgenommen werden.

Dies gilt es zu berücksichtigen, wenn von einer Leitung außerhalb dieser Gruppe quantitatives Wachstum und Teilung als Gemeindewachstums-Konzept favorisiert werden, um dem generellen, übergeordneten Ziel einer Gemeinde gerecht zu werden, ihren Besuchern ein zu Hause zu bieten.

Nun legt das Verhalten der Gruppe bei Betrachtern von Außen die Vermutung nahe, dass es sich bei einer solchen eher geschlossenen Gruppe um eine neurotische Gruppe handelt (s. dazu Beschreibung in: Christsein glaubwürdig leben), das muss aber nicht zwangsläufig der Fall sein.

Dazu ist nämlich nicht nur von Bedeutung, wie sich die Gruppe in Bezug auf sich selbst und ihren Gruppentermin verhält, sondern wie sich die Mitglieder im Rahmen des sozialen und des öffentlichen Bereiches verhalten. So kann es sein, dass die Gruppenmitglieder gerade aus der Erfahrung der persönlich-intimen Gruppe heraus eine Stärkung erfahren, im sozialen und öffentlichen Bereich offen und zugänglich für neue Kontakte zu sein und sie daher die Einstiegsschwelle dort niedrig halten.

Neben der Teilung einer funktionierenden Gruppe besteht auch noch die Möglichkeit der "Sendung", d.h. aus der Gruppe heraus werden Einzelne entsandt, neue Gruppen ins Leben zu rufen und diese aus der Erfahrung der Ursprungsgruppe heraus zu gestalten.
Die könnte man vielleicht eher wie ein Kristallisations-Konzept oder gar Molekular-Konzept als Gegenbild zu einem Zellkonzept bezeichnen.
Dabei wird die Ursprungsgruppe nicht zerstört und dennoch ein Wachstum im Gemeindefeld verzeichnet.



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