2007-06-14

Gemeinde für Jugend - Meine Begegnung mit dem Begriff "Postmoderne"

Während ich so durch diverse Weblinks surfe, frage ich mich gerade, wie mir der Begriff "Postmoderne" eigentlich begegnet ist. In der Erinnerung daran fallen mir dabei ein paar Dinge auf, die ich hier einfach mal festhalte.

Ich bin in meiner Freien evangelischen Gemeinde Leiter eines Jugendhauskreises und zähle somit zu den Mitarbeitern im Jugendbereich.

Vor ein paar Jahren nun machte sich die Leitung dieser Gemeinde Gedanken darüber, dass ein Fehlen der Altersschicht zwischen 20 und 30 zu beobachten war. Offensichtlich konnten heranwachsende Jugendliche (von denen es in der Gemeinde zu dem Zeitpunkt auch gar nicht so viele gab) nicht in der Gemeinde gehalten werden. Sie distanzierten sich mit Erreichen der Volljährigkeit, stiegen aus oder wanderten ab zu Gruppierungen wie den Jesus Freaks.

Da andererseits eine blühende Jungschararbeit (und eben viele gemeindeeigene Kinder im Jungsscharalter) vorhanden war, stand die Frage im Raum, wie diese heranwachsende Jugendgeneration denn in Gemeinde, speziell auch in die Gottesdienste, integrierbar wäre.

In diesem Zusammenhang wurde dann auch eine Themenabend-Reihe über mehrere Wochen angeboten, in der im Stile von Vortrag und anschliessender Gruppendiskussion der Begriff der Postmoderne und der "Generation X" vermittelt werden sollte. Titel: "Der postmoderne Kevin".

Zunächst liess ich diese Abende links liegen, klang der Einladungstext doch sehr nach theoretisch philosophisch intellektueller Beschäftigung mit dem Thema.

Nach ein paar Abenden wurde ich dann angesprochen, ob ich mit meinem Jugendhauskreis nicht zu einem solchen Themenabend kommen wolle, schließlich ging es doch um genau diese Gruppe und die Reihe sollte doch dazu dienen, das Herz der Gemeinde für die Jugendlichen zu öffnen und sie auf mögliche Veränderungen vorzubereiten.

Und so saßen meine Jugendlichen nun eines Abends in diesem Saal an einem Gruppentisch und lauschten, ebenso wie die zwanzig, dreißig Gemeindemitglieder im fortgeschrittenen Alter, dem Vortrag über die Denk- und Erlebensweise der Postmoderne, ungefähr im Stile von http://www.postmoderne-theologie.de/de/begriff_postmoderne.html.

Nach dem Vortrag nun wurden Fragen aufgeblendet, über die wir uns in der Tisch-Gruppe austauschen sollten. Ein paar Antworten wurden dann in der Groß-Gruppe wieder als Ergebnis vorgetragen.

Ich weiss die Inhalte nicht mehr genau, aber eines weiss ich noch: meine Empfindungen an diesem Abend und in den Hauskreisgesprächen danach.

Während der Vortrag inhaltlich darlegte, dass der postmoderne Mensch subjektives Empfinden und konkretes Erleben über objektives Wissen und rein rationale Erkenntnisvermittlung stellt und sehr beziehungsorientiert ist, war er stilistisch ein geradezu groteskes Beispiel der Moderne.

Theoretisierend, in seiner philosophischen Analyse korrekt, strukturiert und fundiert, kamen die Jugendlichen , die direkt neben mir saßen, darin nicht vor.

Der Vortrag blieb abstrakt, theoretisch. Mal abgesehen davon, dass den Jugendlichen die Inhalte vielfach unklar blieben, weil die Wortwahl viel zu abgehoben war, erkannten sie sich mit ihrem Denken und Erleben darin nicht wieder. Das Gruppengespräch in dieser Runde bestand dann auch aus einem einzigen Fragezeichen: Worum geht es hier eigentlich? Was tun wir hier?

Und so unterhielten sich Erwachsene in philosophischen Termini über das Denken, Empfinden und Erleben einer Generation, deren Vertreter mitten im Saal waren.

Sie sprachen über die Beziehungsorientierung der Postmoderne, ohne eine Beziehung zum Postmodernen neben ihnen aufzubauen, ohne Kontakt zwischen Ich und Du herzustellen.

Ähnliches setzte sich auch im weiteren Verlauf der Gemeindeentwicklung fort, als die Jugendleiter zu Gesprächen am Runden Tisch eingeladen wurden, um sich darüber zu unterhalten, wie denn Gottesdienstformen oder Jugendarbeit verändert werden müsse, um für Jugendliche attraktiv zu sein.

Die Leiter wurden darüber befragt, was denn die Jugendlichen beschäftigen und wie sie so denken würden, und meine Antwort war konsequent: "Wenn ihr es wissen wollt, dann redet mit ihnen. Warum sind sie nicht hier? Warum stellt ihr die Frage nicht ihnen selbst?"

Getrieben von Ideen wie This is my Church hat es ziemliche Arbeit gekostet, bis die Gemeinde von einem Reden über die Junge Generation zu einem Reden mit der Jungen Generation gelangte.

Die Frage "wie denkt und empfindet ein Jugendlicher in der Gesellschaft über Kirche heute" hat lange im Raum gestanden, bis sie zu der Frage "wie denkst du eigentlich darüber, Peter" transformiert werden konnte.

Als dies denn aber endlich passiert ist und die Jugendlichen selbst in die Gespräche und Planungen mit eingebunden wurden, ist einiges Fruchtbringendes dabei passiert. Nicht nur, dass die Jugendarbeit ein ziemliches Gewicht in unserer Gemeinde bekommen hat, hat dies umgekehrt auch zu einer Veränderung der älteren Generation geführt. Durch die echte Öffnung für die Jugendlichen, die konkret vor einem stehen, durften wir einen neuen Aufbruch erfahren. Denn die Veränderungen in Formen und Strukturen, die zunächst "für die Jugend" angestrebt wurden, wirkten auch auf ältere öffnend und befreiend.

Das Fazit oder den Appell dieses Textes könnte man also zusammenfassen mit der Aussage an die "modernen" (älteren?) Menschen in Gemeinde: So wichtig es zunächst auch scheint, das Wesen postmodernen Denkens und Empfindens verstandesmäßig zu erfassen, viel wesentlicher ist, dass das Verstandene sofort umgesetzt und im Dialog eingesetzt wird, denn Postmoderne will gelebt und erfahren werden, um verstanden zu werden.

Das Problem für den Modernen ist: Der Zugangsweg zur Postmoderne ist, zu Handeln als wäre man postmodern. Das ist aber meist nicht der Weg, den der Moderne beschreitet, um seine Umwelt zu verstehen und zu erfassen. In der Behandlung der Postmoderne mit "modernen" (analytisch-abstrakten) Methoden jedoch, bleibt der Zugangsweg zum Objekt der Betrachtung, nämlich der konkrete Mensch mir gegenüber mit seinem Denken und Empfinden, verschlossen. So, als wenn man mit geschlossenen Augen da sitzt und mit akustischen Signalen (Worten) darüber austauscht, was Farben sind. Die abstrakte Aussage, "Farbe ist, was man als sensorischen Reiz wahrnimmt, wenn man die Augen aufmacht" ist nicht wirklich hilfreich zum Verständnis. Richtig wäre die direkte Frage: "Was siehst du?" und in Folge das eigene Öffnen der Augen und vielleicht sogar die Erfahrung: "Ja, das sehe ich auch".

Meine heftigen Empfindungen beim Erleben des Vortragsabends zur Postmoderne konnte ich leider viel zu spät erst selbst verstehen oder in (die oben geschriebenen) Worte fassen. Ich wünschte, das Geschehen wäre mir am Abend selbst sofort so klar geworden. Die richtige Reaktion wäre dann gewesen, aufzustehen, dieses Erleben des Hier und Jetzt deutlich zu formulieren, und dann direkt auf einen oder mehrere Jugendliche zuzugehen und sie zu interviewen. Das hätte Postmoderne für alle Anwesenden im Saal deutlich erlebbar und verständlich gemacht.

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