2007-06-29

"Herr Neu-Fromm, sind Sie Christ? - Nein????"

Interviewer: Herr Neu-Fromm, glauben Sie an Gott?

Neu-Fromm: Ja

Interviewer: Glauben Sie an den Heiligen Geist?

Neu-Fromm: Ja

Interviewer: Glauben Sie auch an Jesus Christus?

Neu-Fromm
: Ja

Interviewer: Ah, dann sind Sie also Christ!

Neu-Fromm: Nein

Interviewer: Nein??? - ähm - wie jetzt, Sie glauben an all dies, aber Sie sagen, Sie seien kein Christ?

Neu-Fromm: Ja

Interviewer: Wieso?

Neu-Fromm:
Nun, sehen Sie, wenn ich sage, ich sei kein Christ, dann kann ich in eine Gemeinde gehen, und dort den Gottesdienst genießen. Ich kann mich mit Leuten frei unterhalten, und auch frei meine Gedanken äußern, auch wenn sie nicht ganz auf der Linie dieser Gemeinde liegen. Ab und zu drücken mir Leute einen Flyer mit einer Einladung zu einem Glaubensgrundkurs in die Hand, zu dem ich nicht gehe. Ab und zu sprechen wir auch mal über den Glauben und tauschen unsere Ansichten darüber aus. Oft jedoch nicht. Meist haben wir einfach nur gute Gemeinschaft miteinander, die Mitglieder freuen sich, dass ich da bin und mich beteilige, und darüber hinaus werde ich in Ruhe gelassen.

Auch im privaten Bereich ist das nicht anders. Sollte mich mal jemand beim Beten ertappen oder sowas, ist das kein Akt. Heutzutage ist ja alles möglich, viele glauben ja an die unterschiedlichsten Dinge, und warum auch nicht?
Wenn ich bestimmte Dinge einfach nicht tue oder nicht mitmache, weil ich sie halt nicht vertreten kann, stört das keinen wirklich. Jeder hat halt seine eigenen Vorstellungen von OK und nicht OK, soll halt jeder nach seinen Werten leben. Und wenn ich andererseits bestimmte Dinge tue, weil ich sie für richtig und notwendig halte, die andere leider nicht ohne weiteres tun, dann bewegt sich die Meinung der Umwelt darüber zwischen "nett" bis zu "beeindruckend", und alles ist gut.
Wenn ich bestimmte Gedanken über Gott und die Welt äußere, dann kann man drüber diskutieren, aber wenn die anderen merken, dass man relativ gute Gründe für seine Meinung hat, dann ist das für sie meist OK. Kann man so stehen lassen.
Auch mal emotionale Reaktionen sind durchaus verständlich und akzeptabel, jeder hat halt mal gute oder schlechte Tage und über deftige Worte lachen wir ja eh immer.

Wenn ich jedoch sage, ich sei Christ, dann hat all dies, allein durch diese Aussage, dieses Etikett, schlagartig ein Ende.

Gehst du in eine Gemeinde und sagst, du seist Christ, weiß sofort jeder liebe Mitbruder, wie du dich zu verhalten hast, was du also tun und lassen solltest, wie du zu fühlen hast, besonders anderen Menschen und Verletzungen gegenüber, und wie du zu denken hast, zu diesen und jenen Gesellschafts-Themen, zu diesen und jenen Glaubensthemen, und darüber, wie man die Bibel auslegt. "Du bist ja Christ, ich auch, und damit sind wir uns ja wohl einig, dass meine Ansicht stimmt".

Doch das hört in der Gemeinde nicht auf: Auch die Leute in deinem privaten Umfeld entdecken plötzlich den Fisch auf deinem Auto oder der Jacke, und verkünden dir sofort, wie du dich zu verhalten hast, wie du ja wohl über bestimmte Dinge denkst und was du zu fühlen hast oder nicht. Insbesondere wissen sie plötzlich, dass du ja eigentlich ein naiver Idiot bist, der von fortschrittlichen Erkenntnissen keine Ahnung hat, Argumenten sowieso nicht zugänglich ist, eine fixe Meinung hat, und lieber in einer Welt des frommen Selbstbetruges lebt.
(Manche erklären dir dann auch schonmal, dass du an Hexenverbrennungen, Unterdrückung des Bürgertums und den Kreuzzügen schuld bist).

Letztlich hat also die Aussage, ich sei Christ oder ich sei kein Christ keinerlei Auswirkungen darauf, wie ich denke, fühle, lebe, handle. All dies resultiert so oder so aus meiner persönlichen Erfahrung, Einsicht, Überzeugung, Beziehung zu Gott und meinen Mitmenschen und meinem Charakter.
Letztlich hat die Aussage, ich sei Christ oder ich sei kein Christ einzig und allein Auswirkungen darauf, wie andere Menschen glauben, mich sehen und sich mir gegenüber verhalten zu müssen.

So betrachtet, steht mir also das Etikett "Christ" viel eher im Weg, als dass es mir hilft. Da es, so glaube ich, jedoch nicht darauf ankommt, ob ich ein Etikett -nicht nur bildlich, sondern auch tatsächlich in Form von Aufklebern usw.- mit mir herumtrage, lasse ich dieses einfach weg, und erlebe, wie sich mir viel mehr Wege und Türen zu anderen öffnen.

Interviewer: Aber wenn Sie sagen, Sie seien kein Christ, lügen Sie denn dann nicht?

Neu-Fromm: Nein, eigentlich nicht. Ich bringe die Aussage nur auf eine andere Ebene. Denn letztlich heißt die Frage immer, "bist du Christ, so wie ich mir denke dass einer sein müsste?" Und da kann ich meist mit gutem Gewissen "nein" zu sagen. Ob ich christlich im Sinne eines Nachfolgers Christi bin, zeigt sich sowieso an meinem Leben und Handeln, und nicht an aufgeklebten Etiketten.

Interviewer: Nun, aber letztlich von Ihrem Glauben, Ihren Überzeugungen her sind sie ja doch Christ. Sollten Sie dann nicht auch dazu stehen? Sollten Sie nicht auch gerade durch die Aussage "ich bin Christ" auch öffentlich Ihre Zugehörigkeit zu Christus bekennen? Sollten Sie nicht als Nachfolger des Christus stolz darauf sein, auch dieses Etikett zu tragen?

Neu-Fromm: Sehen Sie? Da passiert es ja schon wieder ... !


2007-06-28

Idea: Schöpfungsforscher ziehen ernüchternde Bilanz

In einem Onlineartikel mit dem Titel "Schöpfungsforscher ziehen ernüchternde Bilanz" dokumentiert Idea die Bilanz, die der Vorsitzende der Studiengemeinschaft Wort und Wissen, Henrik Ullrich nach 25 Jahren auf ihrer Hauptkonferenz gezogen hat:
„Vom Ziel, ein wissenschaftlich plausibles Gesamtkonzept zur Entstehung des Kosmos, der Erde und des Lebens als Alternative zum vorherrschenden Evolutionsmodell vorweisen zu können, sind wir weiter denn je entfernt“

Die Arbeit dieser Studiengemeinschaft ist sowohl interessant als auch wichtig für den Dialog zwischen empirischer Wissenschaft und Theologie, versuchen dort doch Wissenschaftler die Forschungsdaten zu interpretieren ohne dabei von vornherein die Existenz eines Schöpfers und die Aussagen der Bibel aus den Überlegungen auszuschließen.

Ausgehend vom Vertrauen in die Heilige Schrift versuchen sie, geologische, biologische, physikalische und paläontologische Phänomene von diesem Kurzzeitrahmen her zu deuten. Allerdings müssten sie zugeben, dass sich viele wissenschaftliche Befunde besser in einem Langzeitmodell interpretieren lassen, so Ullrich.


Diese selbstkritischen Aussagen der deutschen Studiengemeinschaft sind durchaus lobenswert, zeigen sie doch eine wohltuende Abgrenzung zu ihren amerikansichen Kollegen, die viel mehr unter der Prämisse arbeiten, dass nicht sein kann, was nicht sein darf.
Auch hier in Deutschland stand die Arbeit meiner Ansicht nach in der Gefahr, an Offenheit einzubüßen und eine von vornherein auf Opposition fixierte Haltung einzunehmen, und so betrachte ich mit einer gewissen Skepsis die Aussage Ullrichs:

„Wir halten trotz dünner Beweislage am Kurzzeitmodell fest“



Viel eher scheint mir da eine Haltung angebracht, die Ausgangsposition selbst zu differenzieren und zu hinterfragen, ob denn die als Basis für die Berechnungen und Aussagen herangezogenen Textstellen überhaupt so verstanden werden wollten, wie sie bisher verstanden wurden. Somit ist eine interessante Frage, wie folgende Aussage denn von der Studiengemeinschaft tatsächlich umgesetzt wird (Hervorhebung von mir):

„Vielleicht müssen wir lernen, an die wissenschaftlichen Daten methodisch anders heranzugehen oder prinzipiell neue Fragen zu stellen, um die Probleme in den Griff zu bekommen.“


2007-06-27

Gene Appel: "Wie verändere ich eine Gemeinde, ohne sie zu ruinieren? "

Im "Willow-news" Newsletter Juni 2007 von Willow Creek Deutschland war zu lesen:
Gene Appel: Wie verändere ich eine Gemeinde, ohne sie zu ruinieren?
Ohne Veränderung sterben unsere Gemeinden. Wir haben darum gar keine Wahl, wenn es um Veränderung geht! Wenn wir als Gemeinde Jesu bestehen wollen, dann müssen wir uns verändern - immer wieder! Dabei ist es nicht die Botschaft, die sich verändert! Das Evangelium ist ewig! Gottes gute Botschaft verändert sich nicht. Was sich ändert, sind die Formen, in denen wir das Evangelium zu den Menschen tragen. Die Strukturen, in denen Gemeindeleben geschieht. All das ist zeitlich und muss immer wieder angepaßt werden, um die Menschen zu jeder Zeit zu erreichen. Wer Veränderungsprozesses anstößt, muss aber deutlich erklären, warum dieVeränderung nötig ist! Häufig machen wir den Fehler, dass wir 10 Prozent unserer Kraft dafür aufwenden, das Problem zu benennen und 90 Prozent, um die Lösung zu erklären. Wenn aber die Menschen das Problem noch gar nicht verstanden haben, werden sie sich der Lösung verschließen und die Veränderung blockieren. Wer dauerhaft Veränderung gestalten will, muss dafür Sorge tragen, dass die Menschen die Notwendigkeit der Veränderung wirklich verstanden haben!

Holla, muss ich da sagen. Ist Willow Creek jetzt auch auf dem Weg zur "emerging church"?
Da müssen sie sich wahrscheinlich erst die Frage gefallen lassen, worauf die von ihnen gedachten Veränderungen denn abzielen und wie weitreichend diese denn sein dürfen.

Manche Willow-Anhänger, die insbesondere enormen Aufwand in das Aufpeppen der Gottesdienstprogramme stecken, sollten nämlich sehr genau lesen, wenn dort steht "... sind die Formen, in denen wir das Evangelium zu den Menschen tragen". Denn der hervorgehobene Satzteil macht darauf aufmerksam, dass es letztlich nicht darum geht, unsere inneren Formen fit zu machen um Menschen zum Evangelium (oder eher: zur Gemeinde?) zu ziehen, sondern genau umgekehrt. So ist zunächst die Frage, inwieweit wir überhaupt schon dabei sind, Evangelium zu den Menschen zu tragen, egal in welcher Form.

Und man beachte den Zusatz: "Die Strukturen, in denen Gemeindeleben geschieht".
Gerade aus dem Gedankenreich der Emerging Church wird ja immer wieder laut, dass Kirche in der Postmoderne sich in anderen Strukturen als den bisher üblichen und in klassischen Gemeinden bekannten darstellen wird.
Und gerade Willow Creek ist doch ein Musterbeispiel eines (eben nicht post-)modernen Unternehmens mit hierarchischer Management-Organisation.

2007-06-21

ein Augenblick: Ein Glaubensbekenntnis

Inspirierend irgendwie, in meiner momentanen Situation:
ein Augenblick: Ein Glaubensbekenntnis

Wie Konfessionslose Christen werden

Interessanter Artikel auf idea.de.
>>Mittlerweile ist jeder dritte Bürger (25,4 Millionen) Deutschlands konfessionslos. Besonders dramatisch ist – mit 75% – die Situation in den neuen Bundesländern. Die Erfahrung von Alexander Garth, Pfarrer der Berliner Stadtmission: Das Christentum perlt von „Ossis“ ab wie Wasser von einem Ostfriesennerz. Das hätten missionarische Initiativen schmerzlich erfahren, als sie sich nach der friedlichen Revolution Ende 1989 in den Osten aufmachten. Wie er Nichtchristen mit der christlichen Botschaft erreicht, beschreibt er heute.<<
Eine interessante Frage. Ich bin gespannt, wie er das schafft. Hier noch ein paar Zitate aus dem Artikel:
>>Was muss geschehen, damit Atheisten Christen werden?
Darüber staunen Atheisten
Erstens: Das Beispiel veränderten Lebens. Es gibt kaum etwas Herausfordernderes für Atheisten als radikal von Gott veränderte Leben: geheilte Ehen und Beziehungen, Überwindung von lebenszerstörenden Süchten und Bindungen, tapferes Anpacken von Problemen, wo früher geflohen und verdrängt wurde, Menschen, die ihr Leben in Ordnung bringen und aufhören zu stehlen, zu lügen usw. Diese Lebensveränderung wird von den Menschen im Umfeld staunend wahrgenommen. Atheisten, die Zeugen dieser Veränderung werden, suchen nach einer Erklärung und beginnen häufig nach Gott zu fragen.

Eine einladende Gemeinde
Zweitens: Eine einladende Gemeinde. Konfessionslose halten Kirche und Glaube im allgemeinen für eine überholte Lebensform. Viele unserer Kirchgemeinden haben das Erscheinungsbild eines kleinen, verunsicherten, depressiven Häufchens, das so mit seiner Krise und seiner Minderwertigkeit befasst ist, dass es unfähig ist, die Welt zu erreichen. Konfessionslose werden in ihrem Vorurteil bestätigt, wenn sie Gemeinde erleben als eine angepasste, dem Zeitgeist anheim gefallene und von Selbstzweifeln erfasste Ansammlung angechristelter Mitbürger oder als ein mit sich selbst beschäftigter, ins fromme Getto zurückgezogener Insiderclub. Wir brauchen einladende und ausstrahlende Gemeinden, in der die Menschen ihren Glauben froh und gewiss leben und weitergeben. Und: wo andere auch Gott erfahren können – z.B. auch durch Beichte, Handauflegung, Gemeinschaft, Gottesdienst, Gebetsnächte, Taufe etc<<.
Die danach beschriebenen sechs Schritte ihres missionarischen Konzeptes sind interessant und weisen schon gewisse Ähnlichkeiten zu den Aktionen meiner Gemeinde aus. Aber eines fehlt mir bei meiner Gemeinde sehr stark: Die Schritte 1 und 6 .

Während die Türen offen sind und Gäste gerne empfangen werden, Gottesdienste immer mehr formal und inhaltlich ausgefeilt werden, frage ich mich: Wo ist der Punkt, wo die Gemeinde nach außen geht?

Irgendwie scheinen nur dann neue Menschen mit der Gemeinde in Kontakt zu kommen, wenn sie mehr oder minder zufällig durch unsere Zellmembran hindurchdiffundieren.

Aber auch das im Artikel gezeichnete Bild ist meiner Ansicht nach noch relativ klassisch:
>>Sie brauchen niederschwellige Angebote, die ihnen die Chance geben, sich Glauben und Kirche aus Distanz zu nähern. Einige Menschen haben durch kreative Arbeit Zugang zur Gemeinde und zu Gott gefunden. Die musikalisch Begabten engagieren sich z. B. im Gospelchor, andere im Internetteam, einer Ausdruckstanzgruppe, einer Theatergruppe (Anspielteam) für kurze Spielszenen zu Gottesdienstthemen und anderen Gemeindeereignissen usw. Wir haben uns eine Beach-Volleyball-Anlage gekauft und spielen von Frühling bis Herbst auf einem öffentlichen Platz vor unserer Ladenkirche regelmäßig Volleyball. Dabei sind vielfältige Kontakte zu konfessionslosen jungen Leuten entstanden.<<
Auch hier wieder ist im Wesentlichen die Rede davon, wie Kirchen-Distanzierte in kirchliche, kircheneigene Aktionen integriert werden können. In unserem Gospelchor, in unserem Internetteam, in unserer Ausdruckstanzgruppe, in unserer Theatergruppe für unseren Gottesdienst ...

Und somit wird der anfangs recht positiv erscheinende erste Schritt ...
"Als wir uns mit unserem kleinen Missionsteam in Berlin-Hellersdorf niederließen, kannten wir niemanden. Daher beschlossen wir, dass jeder in einen Bereich der Gesellschaft geht, der ihm liegt."
... zu einer reinen Fischer-Methode. Ein Köder, der ausgeworfen wird. Kulturelle Außenkontakte werden funktionalisiert, verzweckt. Und ich frage mich ernsthaft: Muss das so sein?

2007-06-20

There and back again

Was blogge ich hier eigentlich? Was bringt mich dazu, mit dieser neuen Webtec als Medium anzufangen? Wieso steht relativ oft das Wort "Emerging Church" auf der Labelliste?

Nun, seit einiger Zeit jetzt schon ist da das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt. Mit mir, mit meinem Denken und Glauben, damit, wie ich Gemeinde und die Welt um mich herum wahrnehme und empfinde.

Irgendwie scheine ich bestimmte Dinge anders zu verstehen oder anders zu sehen als andere um mich herum. Oder ich verstehe manches einfach auch gar nicht mehr.

"Es passt nicht" - wäre wohl ein möglicher Ausdruck.

All that is gold does not glitter,
Not all those who wander are lost;

Vor kurzem wurde ich dann auf den Begriff Emerging Church aufmerksam gemacht und ich stelle fest, dass ich zwar nach diversen (wenn auch noch nicht umfangreichen) Lektüren in Buch-, PDF- und Blog-Form immer noch nicht so recht weiß, was ich mir darunter vorstellen soll oder was das für mich bedeuten wird.
Doch stoße ich dennoch überall irgendwie immer auf Sätze, Kommentare, Phrasen, die gewisse Stellen in mir anrühren. Dem oben genannten diffusen Gefühl irgendwie Worte zu geben scheinen.

Literatur, die ich lese, scheint so manches Eingesessene in meinem Denken oder dem Denken um mich herum in Frage zu stellen, oder teilweise sogar schon viel länger in Frage gestellt zu haben. Ist eigentlich richtig, was ich jetzt schon so lange einfach als richtig angesehen habe?
Handelt es sich um assimiliertes Gedankengut oder lediglich um immer wieder ausgespuckte Introjekte (*) ?
Was von dem Alten ist noch gültig? Was ist überholt? Was muss ersetzt werden?

The old that is strong does not wither,
Deep roots are not reached by the frost.

Wie passen Aussagen verschiedener Disziplinen zusammen, Wissenschaft, Gesellschaft, Kirche? Werden sie ein einheitliches Bild formen? Kann ich sie für mich unter einen Hut bringen?

Hier will ich mich nun auf eine Reise machen, in eine Landschaft, die mir einmal bekannter erschien als sie es im Moment zu sein scheint. Von hier nach dort, von da nach drüben. An manchen Orten vielleicht bleiben, von anderen weiterziehen. Nicht nur auf bekannten Straßen, sondern vielleicht auch mal quer durch die Wildnis.

Womöglich wird dieses Blog eine kleine Dokumentation dieser Reise. There and back again sozusagen.

From the ashes a fire shall be woken,
A light from the shadows shall spring;

Manche meiner Bekannten könnte dieser Eintrag erschrecken. Womöglich kommen sie auf die Idee, ich sei "vom Glauben abgefallen", vor allem weil ich mir vorgenommen habe, auch Gedanken zuzulassen, die sie nicht zulassen können.

Darum will ich zunächst einen Ausgangspunkt festlegen, von dem aus ich die Reise beginne. Einen Ausgangspunkt, den ich vor Kurzem auch in Frage gestellt habe, und dessen Hinterfragung ich prinzipiell auch weiter zulassen werde.
An dieser Stelle muss ich sagen: Ich weiss nicht. Doch ich vertraue darauf, dass
Gott existiert.

Mit diesem Vertrauen als Basis kann ich eine Reise antreten, in dem Wissen, dass er mich auf den Wegen durch diese Landschaft begleiten wird.

Renewed shall be blade that was broken,
The crownless again shall be king.




(*)
vgl. dazu die Theorie der Gestaltherapie

2007-06-19

Seelsorge und Wirkungsvolle Gemeinden in der Postmoderne

In einem Newsartikel vom Januar auf Baptisten.org mit dem Titel "Besser flirten lernen als darauf zu hoffen, dass Gott einen Partner schenkt" wird von einem Impulstag "Evangelisation" des Bundes Evangelisch freikirchlicher Gemeinden unter dem Motto: "Wirkungsvolle Gemeinde in der Postmoderne" berichtet, bei dem u.a. der im freikirchlichen Seelsorgebereich bekannte Psychologe Dr. Ulrich Giesekus auf den Stellenwert der Seelsorgearbeit für missionarisch ausgerichtete Kirchen hinweist, indem er anführt, dass "erfolgreiche missionarische Gemeinden [...] heutzutage meist eine starke Seelsorgearbeit [haben]" und wie wichtig in diesem Zusammenhang die Schuldbearbeitung in Form der Beichte ist. Dies scheint mir eine interessante Ein-/Ansicht zu sein, wird doch oft Seelsorgerarbeit in der Gemeinde als zunächst zentral zu Pastor und ggf. Leitungskreis gehörig und ansonsten irgendwo irgendwie implizit vorhanden verstanden.

Durch die unvollständige Thematisierung des Begriffes Seelsorge wird dieser auch gerade im Bereich der jüngeren Generation nur unzureichend vermittelt, möglicherweise sogar als "kanaanäisch" eher vermieden. So werden bei Jugendevents dann Mitarbeiter mit seelsorgerlichem Auftrag lieber als "Gesprächspartner" oder "ansprechbare Mitarbeiter" oder ähnliches bezeichnet, ein speziell eingerichteter Seelsorge-Raum zum "Raum der Stille" entschärft.

Das solche Vermeidung der Vermittlung von Begrifflichkeiten nicht unbedingt förderlich ist, wird dann deutlich, wenn die Zielgruppe, durchaus im Verständnis des eigentlichen Zwecks, eigene Begriffe sucht.
So wurde der "Raum der Stille" dann hinterrücks zum "Heulraum".

Der Begriff Seelsorge wird durch die Vermeidung nicht mehr adäquat und zeitgemäß vermittelt und im Gegenzug auch nicht mehr von Betroffenen als Angebot zur Lebenshilfe verstanden. Erst recht nicht, warum man ein Seelsorge-Angebot denn annehmen und einen Seelsorger ansprechen solle.

Ein neues Reden über und Klären der Bedeutung des Begriffes, auch gerade im Umfeld von nicht-alteingesessenen Christen (sprich: im Umfeld von Jugendarbeit und erwachsenen Neubekehrten) ist scheinbar notwendig.

Daneben meint der Artikel:
>>Die zentrale Frage für jede Gemeindearbeit heute müsse lauten: "Wie helfen wir einander zu leben, wie kriegen wir Gemeinde hin?" An Ideologien, auch an christlichen Überzeugungen, sei niemand mehr interessiert: "Mit Weltanschauungen lockt man keinen mehr hinter dem Ofen hervor." Auch die persönliche Frömmigkeit werde nicht über religiöse Institutionen wie Kirchen definiert, sondern ausschließlich über die persönliche Beziehung zu Gott.<<
Diese Aussagen werden etablierten Gemeindemitgliedern sicher Schwierigkeiten bereiten und haben Auswirkungen auf die Art und Weise, wie evangelistische Projekte, z.B. auch ein Alpha-Kurs, durchgeführt werden, und welche Fragen dort behandelt werden.


Zuletzt kommen in dem zitierten Artikel drei Pastoren (darunter Andreas Balsam, der Betreiber von futurefaith.de) über die Herausforderung durch die neue Bewegung "Emerging Church" zu Wort.
>>Diese stark durch das Internet beeinflusste weltweite Bewegung stellt das klassische Gemeindeleben nach ihren Worten völlig auf dem Kopf und findet immer mehr Anhänger. Der Hauptunterschied: Während sich normalerweise Gemeinden Aufgaben in der Gesellschaft suchen, um dann missionarische und diakonische Projekte ins Leben zu rufen, ist es in der Bewegung genau umgekehrt: Christen wissen sich von Gott beauftragt, etwas für ihre Umgebung zu tun. Sie schießen sich dann mit Gleichgesinnten zu einer "Emerging Church" zusammen.<<
Leider führt der Artikel hier nicht näher aus, wie das konkret aussieht und welche Auswirkungen das für die Arbeit bestehender Gemeinden hat.

2007-06-18

"Vier Bereiche der Zugehörigkeit" - und Hauskreiszellen

Bin soeben im Blog von Depone auf einen Artikel gestoßen, wo er über die Vier Bereiche der Zugehörigkeit "nach Edward T. Hall, wie sie bei Joseph R. Myers vorkommen" schreibt.

Dabei fiel mir auf, wie unscharf und sensibel die Grenze jeweils zwischen dem sozialen Bereich und dem privaten Bereich, sowie zwischen dem privaten Bereich und dem intimen Bereich, gerade im Umfeld von Kleingruppen und der Gemeinde-Wachstums-Idee durch Kleingruppen, ist.

Nach dieser Idee soll ja, so wird sie vermittelt, jede Kleingruppe in einer Gemeinde
  • immer wieder neue Mitglieder aufnehmen, bis sie eine Größe erreicht, wo die Kleingruppenarbeit faktisch zu groß wird, so dass
  • sie sich in zwei Kleingruppen teilt.
Als Vorbild dient hier das organische Wachstum durch Zellteilung aus der Biologie.

Auch in meiner Gemeinde habe ich solche Teilungen mehrfach erleben können, nicht immer hat es für alle dabei entstehenden neuen Zellen wirklich funktioniert. Und immer war es mit "Trennungsschmerz" (die Verfechter der Idee würden wohl eher von "Wachstumsschmerz" reden) verbunden, d.h. mit einer Art Verlustangst befrachtet.

Gerade Kleingruppen aber sind ein gutes Beobachtungsfeld dafür, wie aus einer Gruppe, die sich aus einzelnen Individuen zusammensetzt, ein eigener Organismus entsteht, die Gruppe als Einheit ein eigenes Wesen entwickelt.

In unserer Jugendarbeit existieren zur Zeit drei Hauskreise mit recht unterschiedlichen Leuten und dadurch als Gruppe sehr individuellen Wesenszügen. Während es dem einen Kreis recht leicht fällt, neue Leute einzuladen und aufzunehmen, ist dies bei einem anderen Hauskreis nicht der Fall.
Die Schwierigkeit der dortigen Teilnehmer, die Grenze nach außen zu öffnen hat schon für etliche Diskussion von außen gesorgt. Die Gruppe stieß auf Unverständnis und Kritik, die Leiter wurden darauf hingewiesen, dass die Gruppe doch eigentlich offen sein müsste und sich wachstumsorientiert verhalten
sollte.

Der oben verlinkte Artikel zu den Vier Bereichen der Zugehörigkeit erlaubt es mir nun, die beobacheten Phänomene etwas klarer zu verstehen.

Zwei Dimensionen scheinen mir dabei von Bedeutung:
  • Die Einordnung der Beziehung der Gruppenmitglieder in einen der vier genannten Bereiche
  • Die Offenheit, neue Personen/Beziehungen in diesen Bereich zu integrieren
Je mehr nun die Gruppenbeziehung in Richtung einer intimen Beziehung tendiert, um so weniger ist die Offenheit für neue Personen gegeben.

Dabei wird natürlich das Verhältnis zwischen diesen beiden Dimensionen durch die Einstellung der Gruppenmitglieder bestimmt. Sind die Gruppenmitglieder durchweg sehr selbstbewußt und extrovertiert, wird die Schwelle für neue Kontakte sehr niedrig sein.

Sind auch nur einige Gruppenmitglieder zurückhaltend, introvertiert, werden schwer warm, gibt es zwei Möglichkeiten:
  1. Sie werden eben wegen ihrer Zurückhaltung bei Entscheidungen übergangen
  2. Ihr Wesenszug wird von der Gruppe wahrgenommen und berücksichtigt.
Im ersten Fall wird die Gruppe auch eine niedrige Einstiegsschwelle haben, aber mit jeder neu aufgenommenen Person wird das Verhältnis dieser zurückhaltenden Mitglieder zum Rest der Gruppe sich auf der Beziehungsskala stark nach oben Richtung öffentlich verschieben. Die Gefahr besteht, dass diese Mitglieder mit ihren Beziehungsbedürfnissen zu kurz kommen und letztlich sogar die Gruppe verlassen (was nach einer erfolgten Teilung gemäß Teilungs-Konzept im Extremfall sogar zwei nicht mehr funktionierende Zellen zurücklassen kann).

Berücksichtigt die Gruppe jedoch das Offenheits-Wesen aller ihrer Mitglieder, ergibt sich automatisch im Verhältnis zur Beziehung eine höhere Einstiegsschwelle für neue Mitglieder, da diese Schwelle eben durch "das schwächste Glied" der Kette bestimmt wird. Die Gruppe sondiert sehr viel sorgfältiger, ob sie eine neue Person in ihrer Mitte aufnehmen will oder nicht.

In der Rückschau hat das Zellwachstums- und Teilungskonzept dort am Besten funktioniert, wo die Gruppenbeziehung sich eher an der Grenze zwischen sozial und persönlich befand und das Selbstbewußtsein der Gruppe als Ganzes hoch war, und hat dort am meisten Schwierigkeiten verursacht, wo die Beziehung sich im Bereich von persönlich bis hin zu intim abspielte und die Gruppenmitglieder als eher zurückhaltend zu charakterisieren waren.

Gerade bei Kleingruppen im Bereich der Teenager-Arbeit scheint mir jedoch die Chance recht hoch, dass in einer Gruppe auf die Dauer sowohl Beziehungen am Übergang von persönlich nach intim entstehen, als auch durch pubertätsbedingte Unsicherheiten und emotionale Unstabilitäten die Schwelle für die Aufnahme neuer Mitglieder recht hoch ist.

Aussagen, wie: "Dann wird sich vielleicht die Atmosphäre hier ändern" oder "Dann sage ich erstmal nichts mehr von mir" drücken dabei die unterschwelligen Empfindlichkeiten aus.

Diese können im Hinblick auf eine funktionierende Arbeit der Gruppe nicht einfach wegdiskutiert, sondern nur aufgenommen werden.

Dies gilt es zu berücksichtigen, wenn von einer Leitung außerhalb dieser Gruppe quantitatives Wachstum und Teilung als Gemeindewachstums-Konzept favorisiert werden, um dem generellen, übergeordneten Ziel einer Gemeinde gerecht zu werden, ihren Besuchern ein zu Hause zu bieten.

Nun legt das Verhalten der Gruppe bei Betrachtern von Außen die Vermutung nahe, dass es sich bei einer solchen eher geschlossenen Gruppe um eine neurotische Gruppe handelt (s. dazu Beschreibung in: Christsein glaubwürdig leben), das muss aber nicht zwangsläufig der Fall sein.

Dazu ist nämlich nicht nur von Bedeutung, wie sich die Gruppe in Bezug auf sich selbst und ihren Gruppentermin verhält, sondern wie sich die Mitglieder im Rahmen des sozialen und des öffentlichen Bereiches verhalten. So kann es sein, dass die Gruppenmitglieder gerade aus der Erfahrung der persönlich-intimen Gruppe heraus eine Stärkung erfahren, im sozialen und öffentlichen Bereich offen und zugänglich für neue Kontakte zu sein und sie daher die Einstiegsschwelle dort niedrig halten.

Neben der Teilung einer funktionierenden Gruppe besteht auch noch die Möglichkeit der "Sendung", d.h. aus der Gruppe heraus werden Einzelne entsandt, neue Gruppen ins Leben zu rufen und diese aus der Erfahrung der Ursprungsgruppe heraus zu gestalten.
Die könnte man vielleicht eher wie ein Kristallisations-Konzept oder gar Molekular-Konzept als Gegenbild zu einem Zellkonzept bezeichnen.
Dabei wird die Ursprungsgruppe nicht zerstört und dennoch ein Wachstum im Gemeindefeld verzeichnet.



2007-06-15

Christsein glaubwürdig leben - Gedanken zum Thema Gemeinde

Habe im Output-Bereich den Link auf einen Artikel im PDF-Format abgestellt, den ich 1995 zusammengestellt habe. Die elektronische Vorlage war mit der Zeit verloren gegangen, ich habe den Text dann irgendwann aus einem Ausdruck abgetippt und PDFisiert.

Er zeigt, wie alt eigentlich so manche Überlegungen sind.

Agile Manifesto - Zusammenhang zwischen Agiler Software-Entwicklung, Postmoderne und Kirche

Agile Software-Entwicklung

Seit einiger Zeit hat sich in der Software-Entwicklung der Begriff "agil" (engl.: agile) eingebürgert, und wird inzwischen gerne als plakativer Werbebegriff für "fortschrittlich", "zeitgemäß" usw. als Gegensatz zu "überholt" und "starr" oder "unflexibel" verwendet.

Etliche bekannte Größen und Vordenker im Bereich "Methodik der Software-Entwicklung" hatten sich 2001 zusammengetan, und Prinzipien formuliert, die Verbesserungen im Entwicklungsprozess bringen sollten, und einen besseren Umgang mit den neuzeitlichen Anforderungen an Software und deren Erstellung garantieren sollen. Es ging dabei darum, Erfahrungen aus der Praxis, die auch aufgrund von Experimentierfreudigkeit in Projekten gewonnen wurden, zu sammeln und zu verallgemeinern.

Als Problemthemen der Software-Entwicklung wurden dabei folgende Bereiche erkannt:

  1. Starre Vorgehensmodelle, die auf kurzfristige Änderungen von Anforderungen nicht eingehen konnten, da der Durchlauf von der Anforderung bis zur Realisierung zu lang und zu umständlich war. Meist wurden die Verfahren von entsprechenden Methoden-Abteilungen entworfen, die diese inklusive dazugehöriger Werkzeuge dann den Entwicklungsabteilungen vor die Füße warfen, mit dem üblichen Resultat, dass ein Bruch zwischen Theorie und gelebter Praxis eher zu Hindernissen statt zu Verbesserungen im Prozess führten und Werkzeuge als in der Praxis recht unhandlich erwiesen.
  2. Ebenfalls starr an den Vorgehensmodellen war die Notwendigkeit, ein vorgegebenes Arbeitsschema immer und für alle Projekte anwenden zu müssen, auch wenn dies hieß, ein Projekt künstlich und umständlich in dieses Schema hineinquetschen zu müssen.
  3. Starre Projektstrukturen, die durch einen Overhead von Hierarchieebenen und zuständigen Instanzen mit Kontroll- und Steuerfunktionen bremsend auf Veränderungen von Anforderungen, Vorgehensweisen und einzusetzenden Werkzeugen wirkten, nicht zu reden von dadurch hervorgerufenen Machtkämpfen und Kompetenzstreitigkeiten, welche nicht dem eigentlichen Projektziel -eine bestimmte Software zu entwickeln- förderlich waren.
  4. Überverwaltung, die sich oft in Form von einem Übermaß an Dokumentation, Formularen, Papieren, Spezifikationen und Planungen ausdrückte. Oft dauerte das Dokumentieren der Anforderungen, Ausformulieren von Aufträgen, Einplanen der Tätigkeiten, Entwerfen der Lösungskonzepte und Beschreiben der implementierten Lösung nebst Qualitätssicherung der Dokumente (mal abgesehen vom Lesen und Verstehen)um etliches länger, als das Programmieren der Lösung selbst, nicht zu reden von der Pflege der Ablagen, Suchen und Finden der Dokumente, nachziehen von Änderungen in diesen usw.

Im ersten Schritt gingen die Vertreter der Agilen Entwicklung hin, pfiffen auf dieses industrielle Verwaltungsgelumpe und bauten einfach ihre Software. Musste man wissen, wie ein bestimmter Teil zu realisieren sei, ging man zum Sachbearbeiter und fragte ihn einfach. Kurze Hand-Notizen, ein Digi-Foto des Gekritzels auf dem Whiteboard, ein formloses Worddokument, waren die Grundlagen für die Entwicklung. Ging ein Problem oder eine Frage über zwei Teams hinweg, so ging man einfach hinüber und sprach sich mit dem Kollegen im anderen Team ab, der sogenannte "kleine Dienstweg". Software wurde bereits in sehr frühem Zustand dem Kunden lauffähig gezeigt, notwendige Änderungen sofort besprochen und kurzfristig umgesetzt.

Während traditionell industriell orientierte Verfahrenstheoretiker die Hände über dem Kopf zusammenschlugen, weil sie den Untergang der Projekte im Chaos voraussahen, stellte sich diese Vorgehensweise als hoch flexibel, weit weniger riskant als gedacht und überlebensfähig heraus, und die Akzeptanz der daraus resultierenden Software beim Kunden war unerwartet hoch, "Agile Software Development" war geboren.

Natürlich geht es in keinem Teamprozess völlig ohne Ordnung und Struktur, daher wurden von unterschiedlichen Leuten an unterschiedlichen Orten verschiedene Verfahren und Methoden entwickelt, die dieser agilen Vorgehensweise Rechnung trugen, aber dennoch die Fehler der herkömmlichen Methodiken vermieden. Diese Verfahren traten zum Teil in Konkurrenz zueinander, da sie unterschiedliche Aspekte mit unterschiedlichem Schwerpunkt betonten und natürlich entsprechend unterschiedliche Vorgehensweisen vorsahen.

Trotz allem erkannte man, dass das generelle Ziel dieser Entwicklungen bei allen Verfahren das gleiche war.

So trafen sich im Jahre 2001 nun diese Vordenker und schlossen sich zur "Agile Alliance" zusammen, deren Anliegen sie im Agile Manifesto formulierten.

Hintergründe und den Text des von dieser Gruppe erstellten Manifests sind auf Agile Manifesto nachzulesen.

Unter Agile Manifesto - die Grundlagen kann man eine deutsche Übersetzung und einen Kommentar dazu finden.

Hier der übersetzte Text der vier Kernsätze des Manifests:

  1. Menschen und Kommunikation sind wichtiger als Prozesse und Tools
  2. Lauffähige Software ist wichtiger als eine ausführliche Dokumentation
  3. Die Zusammenarbeit mit dem Kunden ist wichtiger als Vertragsverhandlungen
  4. Auf Änderungen zu reagieren ist wichtiger als dem Plan zu folgen

Bezug zur Postmoderne

Wenn man Beschreibungen zur Postmoderne liest, so drängen sich einem unweigerlich einige Parallelen auf.

Das ganze Manifest und alle Verfahren der Unterzeichner sind letztlich auf kritische Hinterfragung und Zweifel am Universalitätsanspruch traditioneller Methodiken basiert.

So ist schon der erste Satz des Manifestos interpretierbar als ein Ausdruck der Abkehr von der Industrialisierung und der Unterordnung des Menschen unter das Diktat der Maschine, bei gleichzeitiger Hinwendung zum menschlichen Gegenüber.

Menschen und Beziehungen werden höher gewertet als Sachwerte, ohne dabei das Ziel von beidem aus den Augen zu verlieren. Jedoch verschiebt sich die Priorität eindeutig zu Ersteren. Jegliche Sache (seien es Dinge, wie Dokumente oder Werkzeuge oder Konzepte, wie Methoden und Pläne) muss sich den Menschen unterordnen und ihnen dienlich sein, nicht umgekehrt.

Gleiches gilt, wenn auch nicht explizit erwähnt, für Hierarchiestrukturen, die nicht um ihrer selbst willen existieren dürfen oder gar als Machtbereich eines höher Positionierten, sondern dem gemeinschaftlichen Projektziel untergeordnet sind. Der Leiter wird zum Dienenden. Dies findet sich jedoch nur implizit in den Begriffen "Kommunikation" und "Zusammenarbeit" wieder.

Die Tatsache, dass Vertreter durchaus konkurrierender Verfahren sich in einer Allianz zusammenschlossen und gemeinsame Ziele formulierten, ist ein klarer Ausdruck postmoderner Toleranz, Freiheit und Pluralität.

Bezug zu anderen Kontexten, zum Beispiel Kirche

In wieweit können Aussagen darin verallgemeinert und in andere Kontexte übertragen werden ?

Gerade der Bereich der IT und Software-Entwicklung ist ein sehr moderner (im doppelten Sinne) Bereich der Gesellschaft. Er besteht nicht nur aus der "Software-Industrie" zu der die großen kommerziellen Vertreter wie Microsoft oder klassisch-IBM gehören, sondern hat auch durch universitäre Einflüsse sehr stark zur Fortschritts-Entwicklung beigetragen. Globalisierung und weltweite Kommunikation sind gerade durch die Errungenschaften der IT-Branche entstanden, vor allem durch das Internet und die neuen Medien.

Gerade in diesem Umfeld hat sich aber auch eine Gegenkultur der Gesellschaft etablieren können: Die Hacker-Kultur (siehe Hacker auf Wikipedia). Ich verwende diesen Begriff dabei im klassischen Sinne, nicht zu verwechseln mit Cracker oder Raubkopierer. Aus diesem Umfeld heraus hat sich als Gegentendenz zur Industrialisierung und Kommerzialisierung die Open-Source Bewegung gebildet, deren Erfolge wird gerade in den letzten Jahren sehen und in den kommenden Jahren noch stärker erleben werden. Zu fast allen kommerziellen Programmen (Betriebsystem, Office-Paket, Graphik-Bearbeitung, Musikproduktion, Mediaplayer ...) gibt es ein Pendant im Open Source Bereich, welches vielfach gleich gut und teilweise sogar um einiges besser ist als die kommerzielle Variante.

Open Source wird dabei gestützt durch die Prinzipien der freiwilligen engagierten Zusammenarbeit, des Offenlegens aller Quellen, durch Kostenfreiheit und der besonderen Berücksichtigung der Rechte des Anwenders, im Gegensatz zu Geheimhaltung, informationellem Feudaldenken und vornehmlich monetären Interessen.

Treibender Faktor des Open Source ist das Gemeinschaftsdenken.

Als Resultat davon sind Open Source Programme oft fehlerfreier, Sicherheitslücken und Bugs werden schneller erkannt und behoben, Unterstützung bekommt der Benutzer statt durch kommerziellen Support durch die weltweite Gemeinschaft der Anwender, die teilweise ein Wissen bereit hält, welches sich eine kommerzielle Supportabteilung gar nicht leisten kann.

Der Grundsatz: "Nimm es, fühl dich frei, es zu nutzen und für deine Belange anzupassen" greift nun so nach und nach auch auf andere Bereiche der Gesellschaft über.

So schießen zur Zeit Open-Books aus dem Boden, zum Beispiel für den Computerbereich bei Galileocomputing. Siehe auch das Projekt Gutenberg. Wissen wird in Form von Wiki-Systemen präsentiert, weit voran Wikipedia, die freie Enzyklopädie, deren Grundlage es ist, dass prinzipiell jedermann zu den Inhalten beitragen und diese Anpassen kann. Mit dem Problem entsprechender Rechteabsicherung und Freiheitsgewährung beschäftigt sich unter anderem die Organisation Creative Commons.

Gemeinschaftliche Zusammenarbeit zur Erreichung gemeinschaftlicher Ziele wird immer mehr Bestandteil der zeitgenössischen Gesellschaft.

Auch die Kirchen bleiben von dieser Veränderung nicht ... "verschont" ...? tatsächlich fällt mir dieser Begriff an dieser Stelle schwer.

Gerade auch im kirchlichen Umfeld spiegeln sich diese Tendenzen der Gesellschaft wider. Betrachten wir beispielsweise die Evangelische Allianz, so besteht diese aus der traditionellen Landeskirche, die in ihrer Struktur ihr Pendant in der Industrie und Verwaltung der modernen Gesellschaft findet, aber auch aus den Freikirchen, die in ihrer Vielfalt bereits in der Moderne eine Pluralität darstellen.

Dort, wo Allianz wirklich gelebt wird und gemeinschaftliche Zusammenarbeit trotz der Unterschiede möglich ist; dort, wo Gottesdienstformen und Gemeindestrukturen dem Menschen zeitgemäß in seinen Ausdrucks- und Lebensformen nahekommen; dort befindet sich Kirche auf dem Weg in die Postmoderne.

Die Frage ist, ob so etwas wie das "Agile Manifesto" auch für Kirche in der Postmodernen Gesellschaft formuliert werden kann.

Ein spontanes Beispiel, welches aus dem Originaltext abgeleitet wurde, wäre:

  1. Menschen und Kommunikation sind wichtiger als gemeindlicher Aktivismus, Arbeitsgruppen und Strukturen.
  2. Gelebter Glaube ist wichtiger als das theoretisieren über theologische Inhalte
  3. Zusammenarbeit der Gläubigen ist wichtiger als die Satzungs-Unterschiede der Kirchenorganisationen.
  4. Auf Zustände und Veränderungen der Menschen vor Ort einzugehen ist wichtiger als Traditionen, Gemeinde-Konzepten und Aufbau-Theorien zu folgen.

2007-06-14

Gemeinde für Jugend - Meine Begegnung mit dem Begriff "Postmoderne"

Während ich so durch diverse Weblinks surfe, frage ich mich gerade, wie mir der Begriff "Postmoderne" eigentlich begegnet ist. In der Erinnerung daran fallen mir dabei ein paar Dinge auf, die ich hier einfach mal festhalte.

Ich bin in meiner Freien evangelischen Gemeinde Leiter eines Jugendhauskreises und zähle somit zu den Mitarbeitern im Jugendbereich.

Vor ein paar Jahren nun machte sich die Leitung dieser Gemeinde Gedanken darüber, dass ein Fehlen der Altersschicht zwischen 20 und 30 zu beobachten war. Offensichtlich konnten heranwachsende Jugendliche (von denen es in der Gemeinde zu dem Zeitpunkt auch gar nicht so viele gab) nicht in der Gemeinde gehalten werden. Sie distanzierten sich mit Erreichen der Volljährigkeit, stiegen aus oder wanderten ab zu Gruppierungen wie den Jesus Freaks.

Da andererseits eine blühende Jungschararbeit (und eben viele gemeindeeigene Kinder im Jungsscharalter) vorhanden war, stand die Frage im Raum, wie diese heranwachsende Jugendgeneration denn in Gemeinde, speziell auch in die Gottesdienste, integrierbar wäre.

In diesem Zusammenhang wurde dann auch eine Themenabend-Reihe über mehrere Wochen angeboten, in der im Stile von Vortrag und anschliessender Gruppendiskussion der Begriff der Postmoderne und der "Generation X" vermittelt werden sollte. Titel: "Der postmoderne Kevin".

Zunächst liess ich diese Abende links liegen, klang der Einladungstext doch sehr nach theoretisch philosophisch intellektueller Beschäftigung mit dem Thema.

Nach ein paar Abenden wurde ich dann angesprochen, ob ich mit meinem Jugendhauskreis nicht zu einem solchen Themenabend kommen wolle, schließlich ging es doch um genau diese Gruppe und die Reihe sollte doch dazu dienen, das Herz der Gemeinde für die Jugendlichen zu öffnen und sie auf mögliche Veränderungen vorzubereiten.

Und so saßen meine Jugendlichen nun eines Abends in diesem Saal an einem Gruppentisch und lauschten, ebenso wie die zwanzig, dreißig Gemeindemitglieder im fortgeschrittenen Alter, dem Vortrag über die Denk- und Erlebensweise der Postmoderne, ungefähr im Stile von http://www.postmoderne-theologie.de/de/begriff_postmoderne.html.

Nach dem Vortrag nun wurden Fragen aufgeblendet, über die wir uns in der Tisch-Gruppe austauschen sollten. Ein paar Antworten wurden dann in der Groß-Gruppe wieder als Ergebnis vorgetragen.

Ich weiss die Inhalte nicht mehr genau, aber eines weiss ich noch: meine Empfindungen an diesem Abend und in den Hauskreisgesprächen danach.

Während der Vortrag inhaltlich darlegte, dass der postmoderne Mensch subjektives Empfinden und konkretes Erleben über objektives Wissen und rein rationale Erkenntnisvermittlung stellt und sehr beziehungsorientiert ist, war er stilistisch ein geradezu groteskes Beispiel der Moderne.

Theoretisierend, in seiner philosophischen Analyse korrekt, strukturiert und fundiert, kamen die Jugendlichen , die direkt neben mir saßen, darin nicht vor.

Der Vortrag blieb abstrakt, theoretisch. Mal abgesehen davon, dass den Jugendlichen die Inhalte vielfach unklar blieben, weil die Wortwahl viel zu abgehoben war, erkannten sie sich mit ihrem Denken und Erleben darin nicht wieder. Das Gruppengespräch in dieser Runde bestand dann auch aus einem einzigen Fragezeichen: Worum geht es hier eigentlich? Was tun wir hier?

Und so unterhielten sich Erwachsene in philosophischen Termini über das Denken, Empfinden und Erleben einer Generation, deren Vertreter mitten im Saal waren.

Sie sprachen über die Beziehungsorientierung der Postmoderne, ohne eine Beziehung zum Postmodernen neben ihnen aufzubauen, ohne Kontakt zwischen Ich und Du herzustellen.

Ähnliches setzte sich auch im weiteren Verlauf der Gemeindeentwicklung fort, als die Jugendleiter zu Gesprächen am Runden Tisch eingeladen wurden, um sich darüber zu unterhalten, wie denn Gottesdienstformen oder Jugendarbeit verändert werden müsse, um für Jugendliche attraktiv zu sein.

Die Leiter wurden darüber befragt, was denn die Jugendlichen beschäftigen und wie sie so denken würden, und meine Antwort war konsequent: "Wenn ihr es wissen wollt, dann redet mit ihnen. Warum sind sie nicht hier? Warum stellt ihr die Frage nicht ihnen selbst?"

Getrieben von Ideen wie This is my Church hat es ziemliche Arbeit gekostet, bis die Gemeinde von einem Reden über die Junge Generation zu einem Reden mit der Jungen Generation gelangte.

Die Frage "wie denkt und empfindet ein Jugendlicher in der Gesellschaft über Kirche heute" hat lange im Raum gestanden, bis sie zu der Frage "wie denkst du eigentlich darüber, Peter" transformiert werden konnte.

Als dies denn aber endlich passiert ist und die Jugendlichen selbst in die Gespräche und Planungen mit eingebunden wurden, ist einiges Fruchtbringendes dabei passiert. Nicht nur, dass die Jugendarbeit ein ziemliches Gewicht in unserer Gemeinde bekommen hat, hat dies umgekehrt auch zu einer Veränderung der älteren Generation geführt. Durch die echte Öffnung für die Jugendlichen, die konkret vor einem stehen, durften wir einen neuen Aufbruch erfahren. Denn die Veränderungen in Formen und Strukturen, die zunächst "für die Jugend" angestrebt wurden, wirkten auch auf ältere öffnend und befreiend.

Das Fazit oder den Appell dieses Textes könnte man also zusammenfassen mit der Aussage an die "modernen" (älteren?) Menschen in Gemeinde: So wichtig es zunächst auch scheint, das Wesen postmodernen Denkens und Empfindens verstandesmäßig zu erfassen, viel wesentlicher ist, dass das Verstandene sofort umgesetzt und im Dialog eingesetzt wird, denn Postmoderne will gelebt und erfahren werden, um verstanden zu werden.

Das Problem für den Modernen ist: Der Zugangsweg zur Postmoderne ist, zu Handeln als wäre man postmodern. Das ist aber meist nicht der Weg, den der Moderne beschreitet, um seine Umwelt zu verstehen und zu erfassen. In der Behandlung der Postmoderne mit "modernen" (analytisch-abstrakten) Methoden jedoch, bleibt der Zugangsweg zum Objekt der Betrachtung, nämlich der konkrete Mensch mir gegenüber mit seinem Denken und Empfinden, verschlossen. So, als wenn man mit geschlossenen Augen da sitzt und mit akustischen Signalen (Worten) darüber austauscht, was Farben sind. Die abstrakte Aussage, "Farbe ist, was man als sensorischen Reiz wahrnimmt, wenn man die Augen aufmacht" ist nicht wirklich hilfreich zum Verständnis. Richtig wäre die direkte Frage: "Was siehst du?" und in Folge das eigene Öffnen der Augen und vielleicht sogar die Erfahrung: "Ja, das sehe ich auch".

Meine heftigen Empfindungen beim Erleben des Vortragsabends zur Postmoderne konnte ich leider viel zu spät erst selbst verstehen oder in (die oben geschriebenen) Worte fassen. Ich wünschte, das Geschehen wäre mir am Abend selbst sofort so klar geworden. Die richtige Reaktion wäre dann gewesen, aufzustehen, dieses Erleben des Hier und Jetzt deutlich zu formulieren, und dann direkt auf einen oder mehrere Jugendliche zuzugehen und sie zu interviewen. Das hätte Postmoderne für alle Anwesenden im Saal deutlich erlebbar und verständlich gemacht.

Na, dann wolln'mer mal ....

So, jetzt hab ich also die berühmten drei Google-Klicks mal durchgezogen.
Dann schaun wir mal, wie das mit dem Bloggen so läuft...

Der Blog-Untertitel
... klingt vielleicht ziemlich hochtrabend, aber mal ganz platt: Genau das ist dieses Blog für mich. Eine Sammlung von Gedanken, die mir zu verschiedenen Dingen durch den Kopf gehen. Snapshots einer Reise durch verschiedene Bereiche, die sich in meiner Gedankenwelt abspielen.

Dieses Blog ist ein ... wie hieß das bei Harry Potter? Pensieve

Ein Blog zu führen, scheint mir nun die logische Konsequenz, nachdem ich eigentlich schon immer irgendwie meine Gedanken notiert, schriftlich strukturiert und mit mir selbst diskutiert habe.