2008-12-30

Zwei Arten von ernsthaften Christen

Ein Gedanke, der mir vor einer Weile nach einer Beobachtung in Gemeinde durch den Kopf schoß:


Es gibt zwei Arten von ernsthaften Christen:

Diejenigen, die nicht aufhören zu fragen.

Die nicht aufhören, Konflikte in Aussagen wahrzunehmen, zu erkennen, anzunehmen. Die nicht aufhören, Tradiertes und Überliefertes, Absolutes, Erreichtes und eigentlich Geklärtes zu hinterfragen.
Sie sehen sich niemals als Fertige, sondern immer als Fragende, als Suchende. Trotz aller Glaubensgewissheit wissen sie um ihre Unwissenheit und betrachten alle Erkenntnisse als vorläufig. Sie sind immer bereit, sich und ihren Glauben, ihre Ansichten, ihre Meinungen hinterfragen zu lassen und sie gegebenenfalls auch zu korrigieren.

Hier finden wir den Thomas, der erst die Hände in die Wunden legen muss. Den Paulus, der einen Römerbrief verfasst und sich auf die Griechen einlässt.

und

Diejenigen, die endlich aufgehört haben zu fragen.

Die der ewigen Suche, der nie endenden Kette immer weiterer Ungewissheiten, immer neuer Fragen, ein Ende gesetzt haben.

Sie haben eines Tages einen Schnitt gemacht und begonnen, Antworten zu geben.

Ihr Leben ist eine Kette immerwährender Antworten auf die Frage der Existenz und der Gnade Gottes. Sie leben einfach, was sie bis dahin zu erkennen meinen, und erkennen, indem sie leben, was sie glauben.

Hier finden wir den Petrus, der aus dem Boot steigt, aber auch die Mutter Theresa von Kalkutta.


Schwierig wird es, wenn der Eine dem Anderen begegnet, ihn aber nicht versteht.

Morgengedanken #1 - Status quo?

Hier ein Morgengedanke, der schon ein Jahr alt ist, und noch in meinen Entwürfen schlummerte ...

---

Entweder es gibt keinen Gott, dann ist die Gemeinde nur ein sozialer Verein, wo sich Menschen zwecks gemeinsamer Lebensgestaltung treffen.

Dann macht viele Anstrengung, Evangelisation, Diakonie und anderes Engagement, welches über ein gewisses Maß hinaus geht, aber keinen Sinn. Dann kann ich mir private Frömmigkeit sparen, und einfach die Gemeinschaft im Verein genießen, mit netten Leuten was Nettes unternehmen.
Alles darüber hinaus hat sich erübrigt.

Der Sinn hinter einer humanitären Handlung müsste sich dann aber anders ergeben. "Salz der Erde" wird dann nämlich nur zu einer netten Idee. Ein Aufruf zu diakonischem Handeln und besonderem Einsatz für Menschen über den direkten Freundeskreis hinaus kann sonst zu leicht durch die eigene Faulheit wegdiskutiert werden. Wozu sollte ich überhapt Einsatz für "die Welt" zeigen?
(In dieser Hinsicht muss mir ein Athetist, wie Dawkins, wirklich mal erklären, warum ich mich für irgendwelche karitativen Dinge einsetzen sollte. Meinen Bekannten geht es gut, und das reicht doch.).

Tatsache ist: Wenn das der Fall ist, kann mein Leben nicht so bleiben, wie es ist. Denn ich kann dann meine Zeit besser, geschickter und vor allem entspannter verteilen. Viel Streß hat sich dann erübrigt. Das Ringen und Kämpfen um dieses und jenes in Gemeinde. Um Gemeinde überhaupt. Solange sie funktioniert, ist es gut, wenn nicht, dann nicht. So lässt es sich viel ruhiger leben.


Oder es gibt Gott. Wenn es aber Gott gibt, dann frage ich mich, wieso er selbst in einer christlichen Gemeinde oftmals so verborgen sein kann. Wieso er dort nicht viel "präsenter" ist, viel intensiver erlebt wird. Wie kann es sein, dass eine Gemeinde in mancher Hinsicht wie ein Verein mit religiös-theologischem Sachhintergrund erscheint, mit allem, was zu einem normalen Verein einfach dazugehört?

Wenn es Gott gibt, dann kann mein Leben ebenfalls nicht so bleiben, wie es ist. Denn dann muss ich über meine Zeit, mein Engagement, mein Ringen und Kämpfen auch neu nachdenken. Dann muss ich fragen, ob die Gemeinde Gottes Ziele verfolgt, oder nur ihre eigenen. Ob an vielen Stellen durch gemeinschaftliche Gemütlichkeit und gesetzte Bürgerlichkeit nicht die Botschaft dieses Gottes verdeckt und "weichgespült" worden ist. Dann muss ich selbst mich dazu stellen und fragen, inwiefern ich an diesem Zustand beteiligt bin, und muss sehen, was das für mich und mein Leben bedeutet.

Überhaupt: Gemeinde!
Verwechseln wir an vielen Stellen nicht oft Gemeinde und Reich Gottes? Gemeinde und Heilsbotschaft? Sind viele Aktivitäten, die wir durchführen, nicht eher darauf ausgerichtet, Gemeinde (sprich: eine lokale Verwaltungs- und Organisationsstruktur) zu erhalten, anstatt ein "himmlisches" Reich aufzubauen?

Der Glaube, beides sei automatisch identisch, scheint mir jedenfalls notwendig zu hinterfragen.

Wie steht es mit "Glaubwürdigkeit"?

Wie man's dreht und wendet: Irgendwas muss sich ändern. Auch und gerade bei mir selbst. Wenn es bleibt, wie es ist, ist es tot.

Doch dann befällt sie mich wieder ... diese enorme Müdigkeit ...

2008-09-10

Emerging Church - Größte geistliche Katastrophe

Die Emerging Church sei die "größte geistliche Katastrophe" in der Geschichte der Christenheit, so verkündete Jakob Tscharntke am 6. September vor etwa 50 Teilnehmern einer Regionalkonferenz
der von mir so "hoch geachteten" Abrenzungs- und Mauerbau-Bewegung "Kein anderes Evangelium".

"Ihre sozialen Aktivitäten hätten wenig mit biblischer Nächstenliebe und viel mit Öffentlichkeitsarbeit für die Gemeinde zu tun. Als Vertreter dieses Konzepts nannte Tscharntke beispielsweise den Theologen Prof. Johannes Reimer (Bergneustadt bei Köln) und die Evangelistin Christina Brudereck (Essen)" (Zitiert von Idea).

Auch manche Kommentare an diesem Online-Artikel sind ... ach, mir fehlen die Worte.

Ein offenes Ohr und insbesondere ein offenes Herz scheint diesen Leuten völlig abzugehen. Mit ihren Reden stimmen sie ein Kriegsgeheul an. Vertreten sie so den christlichen Glauben?

2008-05-28

Trauerfeier oder Party? Kommentar zu: Laut gedacht

Matthias hat auf seinem Blog einen ersten Artikel zum Thema Jugendliche im Gottesdienst

Für einige Mitmenschen vielleicht zu provokant, aber der Artikel ist einfach ehrlich.

Ich möchte hier einfach ein paar Gedankenschnipsel danebenstellen, als Ergänzung, Kontrast, und zum Weiterdenken.

geschrieben.
Demnach muss es also eine dritte Art von Feier geben. Eine Feier bei der man eine Stunde lang auf einem Stuhl sitzt nur hin und wieder aufstehen darf/muss.

Genau. Eine solche Feier gibt es auch. Und zwar auch außerhalb von sakralen Kontexten. Nehmen wir als Beispiel sowas wie die Bambi-Verleihung.

Oder vielleicht ist das doch eher die erste Art Feier?

Wie passt das zusammen? Nun, die Oberkategorie passt eher zur Trauerfeier, und unterscheidet sich von der Party.
Es handelt sich um eine Form von Fest oder Feier, die man mit dem Begriff "Zeremonie" bezeichnen kann.

Dort wo etwas "gefeiert" wird im Sinne von: "zelebriert".
Wo jemand "gefeiert" wird, also geehrt. Solche Leute, die man ehrt und feiert, nennen die Engländer darum auch "celebrities".

In dieser Kategorie treffen sowohl die Trauerfeier als auch die Hochzeitsfeier(!) aufeinander, wobei letztere trotz der "Feierlichkeit" der Situation fröhlich gemäss dem Anlass abläuft.

Sie ist höchst feierlich, aber eine Freude. Ein besonderer Jubeltag.

Worum es nun beim Gottesdienst geht ist nicht, ihn in eine einfache typische "Party" zu verwandeln, wo alle lachend und flirtend in den diversen Ecken rumstehen, Hauptsache die Musik ist gut, die Leute sind gut drauf und Snack und Drink ist ausreichend da.

Aber du hast recht: Normaldeutsche Gottesdienste gleichen oft eher der Trauerzeremonie als dem Jubeltag.

Man stelle sich vor, dass man nach einer langen, politischen Unruhe endlich wieder einen König auf den Thron bekommt, einen Führer, einen Ehrenmann. Jemand, den man achtet und den man ehren möchte (warum fällt mir jetzt Herr-der-Ringe ein? ;-) ).

Wir müssen uns fragen:
Gleichen unsere Gottesdienste einer Krönungszeremonie?

Warum nicht?

Haben wir verlernt, über Gott zu jubeln? Haben wir verlernt, jemandem wirklich die Ehre zu erweisen?

Die Frage geht eigentlich noch tiefer: Haben wir noch das Empfinden für Ehre? Für Hochachtung vor jemandem, den wir als "Persönlichkeit" ansehen? Für Respekt?

Ich denke nicht, dass das völlig abhanden gekommen ist.
Aber die Frage ist dann: Wie sieht heutzutage ein solches Zelebrieren aus?

Nun, nur mal ein kleines Beispiel, als Anregung zum Weiterdenken:
Wir sind an Konzertvorstellungen gewöhnt, an Gala-Shows, an Preisverleihungen, und viele ähnliche Zeremonien.
Ein wesentliches Element dieser Erfahrung ist immer der Applaus. Mit Applaus drücken wir unseren "Beifall" aus. Unseren Jubel. Unsere Freude.

Wie kann es also sein, dass immer noch Leute versuchen, den Applaus aus den Gottesdiensten zu verbannen, weil er nicht "feierlich" genug ist. "Weil wir ja Gott loben wollen, und nicht etwa z.B. die Band". Und was für Argumente man auch zu hören bekommt.

Feierlichkeit, Achtung, Jubilieren, ausgedrückt durch stumme Stille? Emotionslose Reglosigkeit?

Ein Brückenschlag zwischen dem sakralen Gottesdienst und dem zeitgemäßen Zelebrieren ist sicher das, was wir in der "Praise and Worship" Bewegung vorfinden.
Das Wort "Lobpreis" gibt es schon wieder, dass es da um genau die Dinge geht, die ich oben angesprochen habe. Loben und Preisen. Achtung und Ehre deutlich zeigen.

Aber ein Gottesdienst besteht nicht nur aus "Worship".
...weil ein Gottesdienst nicht oberflächlich bleibt. Er geht in die Tiefe und berührt die Menschen da wo sie sind.
In meinen Augen ist das ein ganz wesentlicher Aspekt! Die Menschen werden berührt!

Immer wieder habe ich aber in Gesprächen über Gottesdienstgestaltung den Eindruck, dass man mir (und durch mich bitte auch den Jugendlichen) vermitteln möchte, dass ich mich durch die verwendeten Elemente doch bitteschön berührt zu fühlen habe.

Wenn mich (oder meine jugendlichen Freunde) der Gottesdienst nicht mehr berührt, dann ist
bei uns was falsch! Dann stimmt was mit unserer Einstellung zum Gottesdienst nicht.

Nun behaupte ich aber: Wenn ein Gottesdienst es erfordert, dass man ihn langwierig und umständlich erklärt, damit er auch nur halbwegs von einem Außenstehenden verstanden werden kann, wenn ein Gast von der Straße erst aufwändig "eingestellt" werden muss, um mit dem Gottesdienst umgehen zu können, dann ist in meinen Augen vom Grundansatz her etwas falsch.

Dann wird das Zeremoniell des Gottesdienstes vielleicht vom Verstand her irgendwann einmal erfasst, aber genau dieser Effekt ist es doch, der uns dem Vorwurf aussetzt, alles nur "vom Kopf her" zu begreifen.

Viele Rituale in unseren Gottesdiensten entspringen nicht mehr unserem natürlichen Bedürfnis des Ausdrucks.

Wo klingt der Festredner in seiner Dankesrede wie Goethe im Original?

Und mal ganz ehrlich: Wo machen wir denn in unserer Gesellschaft die Erfahrung, dass wir zur Ehre eines Preisträgers oderwasauchimmer gemeinsam "die eingerückten Verse" lesen??
(Ich habe mal jemanden mit meinem Bekenntnis schockiert, dass das multivokale Sprechen von Texten bei mir immer Unwohlsein auslöst, weil ich mich eher an Alien- oder Horrorfilme erinnert fühle, als an gemeinschaftlichen Lobpreis).

Gleiches wie für die Zeremonien gilt für unser Liedgut. Ich glaube nicht, dass einem Gast von Außen (oder einem unserer eigenen Jugendlichen) klar ist, was es heißt, wenn wir singen: "Alles was Odem hat, lobe mit Abrahams Samen".
(Und mal ganz unter uns, lieber Leser, ich möchte lieber nicht wissen, welche Gedanken ihnen beim zweiten Teil des Satzes durch den Kopf gehen...).

Ich meine also: Berührt wird der Gottesdienstbesucher dadurch, dass er die Möglichkeit bekommt, sich in seiner natürlichen Sprache auszudrücken. Dass er erlebt, wie die anderen um ihn herum ehrlich ihrer Beziehung zu Gott Ausdruck geben. Und dadurch, dass er sich in der Predigt in der ihm verständlichen Sprache angesprochen fühlt.
Angesprochen - sowohl wörtlich verstanden (der Inhalt ist an ihn gerichtet), als auch übertragen: Was gesagt wird, [be-]trifft ihn in seinem Bezugsrahmen, seiner Erlebniswelt.

Ein ganz generelles Problem habe ich schließlich mit dem "Jugendgottesdienst" Begriff, stelle ich in Einzelgesprächen doch immer wieder fest, dass das ganze Thema keines der "Jugendlichen" (sprich: bis maximal Mitte 20) ist, sondern diese und ähnliche Kritik immer wieder aus den Reihen des mittleren Alters zu hören ist.

Ich frage mich also: Wann werden wir lernen, intensiv Augen und Ohren zu öffnen, und uns Gedanken darüber zu machen, was denn die Erlebniswelt, was der Bezugsrahmen unserer Gottesdienstbesucher ist?

Wo findet diese Debatte statt, ohne dem Besucher einen vorgefertigten Bezugsrahmen überstülpen zu wollen?

2008-05-08

"Der Eine" Gottesdienst? - Willow Creek verändert Gottesdienstkonzept

Heute morgen flatterte mir der aktuelle Willow-Creek Newsletter in die Inbox, indem bereits zu Anfang eine interessante Neuerung in der Gottesdienst-Ausrichtung bei WC zu lesen ist.

Dort heißt es:
Wärend der vergangenen 30 Jahre gab es in Willow Creek zwei unterschiedliche Gottesdienstangebote. Am Wochenende fand der Gottesdienst für Suchende statt, der sich maßgeblich auf die Bedürfnisse von entkirchlichten Menschen ausgerichtet hatte. Während der Woche gab es den Gottesdienst für die Gläubigen "New Community", in dem Anbetung, Lehre und die Feier des Abendmahls ihren Platz hatten. Viele Jahre hat diese Aufteilung der Gemeinde gut gedient.

Mittlerweile sind jedoch die Bedürfnisse der Gläubigen so unterschiedlich geworden, dass eine zentrale Veranstaltung nicht mehr in der Lage ist, all diesen Bedürfnissen angemessen zu begegnen. Dies hat unter anderem die Studie "REVEAL" zutage gefördert.
Ich bin gespannt, wie sich diese "neue Erkenntnis" denn wiederum auf unsere Gemeinden auswirken wird, die ja gerne mal den neuesten Willow-Trends hinterherlaufen.

Warum "neue Erkenntnis" in Anführungszeichen?
Nun, letztlich hat WC da nicht eine völlig überraschende Weisheit aus dem Hut gezaubert, sondern übernimmt nur, was andere ihnen bereits als Kritik vorgekaut haben.

Der Gedanke, dass "der Eine" Gottesdienst zwar eine löbliche Absicht ist, aber in der Praxis nicht trägt, haben wir vom Jugendbereich unserer Gemeindeleitung schon länger versucht klar zu machen. Zu diesem Zweck versuchten wir, aus Dan Kimball's Buch zur Emerging Church zu zitieren, aber kamen nicht weit.

Nicht mehr "der Eine" Gottesdienst? Kam gar nicht in Frage. Inzwischen sieht man auch dies zumindest ein
klein wenig lockerer.

Eine kleine Auseinandersetzung mit diesem Thema ist auch in meinem Artikel
JA-GoDi: Gottesdienst - neutestamentlich (Teil 1) zu finden.

Irgendwie wird der Widerspruch in den Ansprüchen einfach nicht deutlich:
  • Man will -auch gerade jungen Menschen- vermitteln, wie wichtig regelmäßige Gottesdienst-Teilnahme für das Gemeinschaftserleben und für die Beständigkeit im Glauben ist.
  • Darauf hingewiesen, dass Jugendliche mit dem "Großen" Gottesdienst nur wenig anfangen können und einen anderen Stil und andere Formen bevorzugen, heißt es dann: "Ja, aber dafür haben wir doch die JesusHouse Parties" (einmal im Vierteljahr !)
Da runzelt Rudi Ratlos resignierend seine Stirn.

Jetzt bin ich wirklich mal gespannt, ob demnächst bei uns Leute von WC-Kongressen wiederkommen und uns verkünden: "Wir sollten mal drüber nachdenken, ob wir nicht vielleicht verschiedene unterschiedliche Gottesdienstangebote machen sollten ..."

Warum habe ich nur immer das Gefühl, dass christliche Gemeinden ständig hinterherhinken?

Und wie wahr sind doch die Worte: "Der Prophet gilt nichts im eigenen Lande" (Markus 6, 1-4) und "Niemand verachte dich wegen deiner Jugend" (1. Timotheus 4, 12)

Das Problem bleibt allerdings, dass unsere Gemeinden keine Mega-Kirchen mit unendlich Ressourcen sind. Und das mag ein Hindernis sein, dass neue Ansätze und Gedanken bereits in den Kinderschuhen stecken bleiben.

Auch hier ein nettes Zitat aus dem WC-Newsletter, Trailer zu einem WC-Seminar:
[...]Aber viele Gemeinden sind auch in der Umsetzung dieser Vision stecken geblieben. Dies hat vielerorts damit zu Tun, dass zwar Programme verändert wurden, aber nicht die herrschenden Werte in der Gemeinde. Um dauerhaft Veränderung zu erreichen, ist es aber nötig, auf der Werte-Ebene Veränderung zu schaffen.
Da fällt mir der englische Refrain-Text zum Lied Sag mir wo die Blumen sind ein:
"When will they ever learn, when will they ever learn?"

2008-02-19

Gofi Müller: Was Leidenschaft killt (Re-Post)

Dieser Beitrag ist ein Repost eines Artikels von Gottfried Müller aus dessen inzwischen gelöschtem Bumerang-Blog (mit freundlicher Genehmigung des Autors).
Der Eintrag war dort vom Samstag, 14. Juli 2007. Er ist auch in gedruckter Form in Gofi's neuem Buch "Heiligwerden für Anfänger" (Brunnen Verlag 2008) erhältlich.




Was Leidenschaft killt


Eine Krise

Ich war eigentlich ganz froh, als ich merkte, dass ich krank wurde. Ein leichter grippaler Infekt, sonst nichts. Eine gute Gelegenheit, sich ohne schlechtes Gewissen aufs Sofa zu legen und eine Woche zu entspannen. Insgeheim legte ich mir folgenden Plan zurecht: Ich würde genau eine Woche krank sein und mich währenddessen erholen. Danach würde ich mich wieder mit Elan und Begeisterung in die Arbeit stürzen.

Nach genau einer Woche stand ich auf und wollte meine Rückkehr ins Dienstleben mit einem Gebetsspaziergang einläuten. Viel früher als geplant schleppte ich mich entkräftet und schwitzend wieder in unsere Wohnung. Ich war immer noch krank! Frustriert legte ich mich ins Bett. Ab jetzt genoss ich keine Minute mehr. Mich quälte ein schlechtes Gewissen. Ich konnte doch nicht einfach hier herumliegen! Ich musste doch etwas tun! Eine Art Identitätskrise im Kleinen baute sich auf. Was war ich wert, wenn ich nichts Wertvolles produzierte? Welche Art von Selbstbewusstsein kann einer haben, der nur unnütz im Bett liegt?

Anfänglicher Enthusiasmus

Als ich mich entschied, voll in die Jugendarbeit einzusteigen, geschah das aus Begeisterung. Ich lernte Jesus auf eine neue, mitreißende Art kennen, mitten in einer Lebenskrise. Fast unmittelbar darauf machte er mir klar, dass ich in einer Jugendgruppe vor Ort mithelfen sollte. Zunächst widerwillig, dann immer begeisterter ließ ich mich darauf ein. Ich spürte, dass dies mein Platz war. Mein Gabenspektrum schien auf diese Art von Arbeit abgestimmt zu sein. Leidenschaftlich stürzte ich mich in die Aufgaben und vernachlässigte darüber völlig mein Studium.

So kam es, dass ich zwei Jahre später Jugendevangelist wurde. Ich brannte dafür, dass Jugendliche zum Glauben an Jesus kamen. Die Arbeit ging mir leicht von der Hand – bis zu dem Moment, als mich der grippale Infekt erwischte. In dieser Krise passierte es zum ersten Mal, dass ich innehielt und mich fragte: „Warum machst du eigentlich das, was du machst? Was treibt dich an? Woher kommt dein schlechtes Gewissen, nur weil du ein paar Tage lang nicht arbeiten kannst?“

Etwas war verloren gegangen

Mir fiel beim Nachdenken auf, dass mir etwas verloren gegangen war. Wann das passiert war, wusste ich nicht. Aber ich konnte ein Vorher und Nachher ausmachen. Vorher, ganz zu Anfang, handelte ich aus Liebe zu Jesus. Vieles, was ich aus dieser Leidenschaft heraus getan hatte, war ungeschickt, überzogen, manchmal sogar richtig lieblos gegenüber anderen Christen gewesen. Aber ich brannte lichterloh. Ich wollte die ganze Welt umkrempeln aus Liebe zu Jesus, notfalls im Alleingang.

Mittlerweile trieb mich etwas anderes an. Zum Beispiel der Gedanke, dass ich zu wenig arbeiten könnte. Schließlich gab es Menschen, die mich mit ihren Spenden unterstützten. Ich verglich mich mit anderen Vollzeitlerinnen und Vollzeitlern und war unangenehm berührt, wenn sie mehr Termine hatten, mehr Zeit im Büro verbrachten, weitere Wege fuhren und einen größeren Aktionsradius hatten als ich. Andererseits machte es mich stolz, wenn mein voller Terminkalender bestaunt wurde, wenn ich mehr Stunden arbeitete als andere und weiter herumkam als sie. Niemand war dafür verantwortlich, dass ich so empfand. Ich selbst war mein schlimmster Sklaventreiber.

Ohne es zu merken, hatte ich begonnen, mich über das zu definieren, was ich leistete. Mein Selbstwertgefühl hing davon ab, was ich produzierte und ob ich für irgendwen oder irgendwas ‚nützlich’ war. Meine Liebe zu Jesus dagegen schien bei dem, was ich tat, nur noch eine untergeordnete Rolle zu spielen.

Drei Leidenschafts-Killer

Diese Krisen, in denen ich kurz anhalte und mich selbst hinterfrage, habe ich seitdem immer wieder. Es sind oft Phasen der Erschöpfung, in denen mir klar wird, dass von meiner ursprünglichen Leidenschaft so gut wie nichts übrig geblieben ist. In diesen Momenten, in denen ich fast zwangsläufig zur Ruhe komme, stelle ich mir die Frage: ‚Wie konnte es dazu kommen, dass meine Leidenschaft derartig abgenommen hat?’ Ich persönlich stoße immer wieder auf drei Ursachen:

1. Ziellosigkeit: Als ich enthusiastisch in die Jugendarbeit stürmte, hatte ich ein klares Ziel vor Augen. Ich wollte, dass die Jugendlichen, die zu meiner Jugendarbeit gehörten, Jesus kennen lernten, so wie ich ihn kennen gelernt hatte. Sie sollten verstehen, wie sehr er sie liebte, und nicht anders können, als ihn zurückzulieben. Ich hatte begriffen, dass Jesus sich nichts sehnlicher wünschte als das. Und ich hatte mich total mit seinem Anliegen identifiziert und versuchte, ihm diesen Wunsch zu erfüllen.

Heute arbeite ich nicht mehr auf lokaler sondern überregionaler Ebene. Ich habe nicht mehr eine konkrete Gruppe von Jugendlichen als Ziel meiner Bemühungen, sondern ‚die junge Generation’. Aber auch hier treibt mich dieses Ziel an – wenn ich es vor Augen habe. Ich bin davon überzeugt, dass Jesus der jungen Generation ein unglaubliches Angebot macht, und dass er möchte, dass ich – zusammen mit vielen anderen – ihnen dieses Angebot überbringe. Ich merke, wie mich Leidenschaft packt, wenn ich realisiere, worum es bei meiner Arbeit geht. Umgekehrt verkommt mein Beruf zum ‚Job’, wenn ich das Ziel aus den Augen verliere. Und das führt zu den anderen beiden Leidenschafts-Killern.

2. Routine: Dass ich meinen Beruf ‚erfolgreich’ (was immer das in meinem Metier heißt) ausübe, hat zu einem gewissen Teil mit meiner Begabung zu tun. Wie das Wort ‚Gabe’ schon sagt, handelt es sich hierbei um etwas, für das ich nichts kann. Zu einem anderen Teil hängt der ‚Erfolg’ meiner Arbeit von einem gewissen handwerklichen Geschick ab: Sprache ist ein Handwerk, das man lernen kann und in dem man sich weiterbilden muss.

Die Gefahr der Routine besteht darin, dass ich, wenn ich das Ziel aus den Augen verliere, die vor mir liegenden Aufgaben leidenschaftslos abarbeite und mich dabei auf mein Handwerk verlasse. Das ist ganz leicht. Ich bin immer noch in der Lage, Zuhörer zu beeindrucken. Und verrückter Weise lässt Gott sich nicht davon abhalten, dadurch zu wirken und sogar Wunder zu tun. Derjenige, der hierbei den größten Schaden davonträgt, bin ich selbst. Ein routinierter, leidenschaftsloser Dienst für Jesus höhlt denjenigen aus, der ihn tut. Wer in diese Sackgasse eingebogen ist, hat großes Glück, wenn er krank wird und Zeit zum Nachdenken findet.

3. Leistungsdruck: Eine andere Folge von Ziellosigkeit. Wer nicht mehr nach vorne schaut, schaut zur Seite. Und neben sich entdeckt er die anderen Arbeiterinnen und Arbeiter für Jesus. Was liegt da näher, als sich miteinander zu vergleichen und imaginäre Hierarchien aufzustellen? Leistungsdruck hat eher selten seine Ursache in fordernden Vorgesetzten oder unzufriedenen Gemeindemitgliedern. Häufiger ist es meine mangelnde Selbstachtung oder mein fehlgeleitetes Pflichtgefühl oder meine Profilneurose, die mich antreiben. Die Sklaventreiber sind in uns, nicht um uns herum. Ich stelle mir meinen persönlichen Sklaventreiber als einen Fahrrad fahrenden Preußen vor, der aus lauter Pflichtgefühl und Geltungsbedürfnis nicht aufhören kann zu radeln.

Um die Leidenschaft bei von Leistungsdruck geplagten Menschen wieder neu zu entfachen, hilft nur eines: Entspannung. Auch wenn ein deutsches Sprichwort uns einschärft: ‚Müßiggang ist aller Laster Anfang’. Sehr viel häufiger ist es die Überlastung, die der Anfang aller Laster und der Killer jeder Leidenschaft ist. Wer überlastet ist, greift zu zweifelhaften Seelentröstern, zu denen auch bei christlichen Vollzeitlerinnen und Vollzeitlern nicht selten Alkohol und Pornografie gehören.

Der Verlust der Leidenschaft für das, was wir tun, beginnt da, wo wir Jesus aus den Augen verlieren. Wer erkennt, dass Jesus sie oder ihn liebt, kann nicht anders, als ihn zurückzulieben. Wer Jesus liebt, kann nicht anders, als das leidenschaftlich zu wollen, was er will.

Glaube, Spiritualität, Aktivismus

In einem kürzlich veröffentlichten Blogpost schreibt Waldy(Schrotty) über das Thema "Wie kann ich geistlich fit bleiben?" .

Das Thema ist aktuell. Für viele. In vielen Gemeinden ist es leicht, in den Aktivismus mit hineingenommen zu werden. Schon bei Eintritt in die Mitgliedschaft wird darüber sinniert, was denn die Gaben (oft mit Begabungen verwechselt) sind, und an welchen Stellen sie denn in Form von Mitarbeit eingebracht werden können. Es geht im Wesentlichen um Aktivitäten.

Gerade in der heutigen Zeit ist aber wichtig, dass der spirituelle Aspekt wieder entdeckt und als Alternative zur Hektik der Umwelt gelehrt und gelebt wird.
Doch scheint mir irgendwie, dass Gemeinden so sehr verlernt haben, Spiritualität wirklich zu leben und zu vermitteln, dass man streckenweise wieder ganz von unten anfangen muss, das Thema neu zu entdecken. Vieles ist im Alltag der Gemeinde verschüttet worden.

Vor einiger Zeit habe ich selbst einen Kommentar-Artikel zu Gofi Müllers "Was Leidenschaft killt" geschrieben. Aber irgendwie war ich zu der Zeit selbst noch in einer Denk-Falle, denn die angesprochene Problemlösung scheint mir heute einfach nicht weit genug zu gehen.

Es muss viel stärker thematisiert werden, was Schrotty im Titel eines anderen Artikels ausdrückt: "Meine Zeit für Gott ersetzt niemals die Zeit mit Gott...".

Ich wünsche mir sehr, dass das Problem des Gemeinde-Aktivismus und von "Mitarbeiter statt Mitbruder" stärker angesprochen und bewußt angegangen wird. Mein Empfinden ist: So wie es jetzt ist, geht es nicht weiter.

Leider ist es so, dass wenig konkrete Hilfe für den Umgang im Alltag gegeben wird. Deine Spiritualität ist deine Privatsache. Und wenn du dann wirklich am Rande der (geistlichen) Erschöpfung stehst und denkst: "Bitte kein weiterer Termin, keine weitere Projektgruppe, Planungsrunden, Arbeitskreistreffen, Konferenzbesuche ...", oder auch lediglich "bitte keine weitere Andacht, Predigt, Bibelarbeit, Artikel, vorbereiten müssen...", dann hat jemand genau die Lösung für dich parat:
"Fahr doch einfach einmal ein paar Tage auf eine Einkehrfreizeit! Danach geht es dir bestimmt wieder besser".

Für das geistliche Leben gilt aber das Gleiche wie für den Herzinfarkt: Reha und Weitermachen wie bisher ist nicht die Lösung.

Der Lebensstil muss sich ändern. Einschneidend ändern. Aber auch das Umfeld, muss eine neue, gesunde Haltung mitentwickeln. In einer Umgebung, in der die fromme Fassade, das heile Image, mehr zählt, als der wahrhaftige Umgang mit den Problemen des Glaubens, wo der Einzelne an seinem Output bewertet wird und nicht mehr als Mensch an sich wahrgenommen wird, kann man sich keine Schwäche leisten.
In einem Umfeld in der hektischer Aktivismus, fettiges Essen und Alkohol weiterhin vorherrscht, ist der nächste Herzinfarkt vorprogrammiert.

Schafft eine Gemeinde jedoch den Schwenk dahin, als Gemeinschaft den Einzelnen wieder zu tragen, seines und allgemein das geistliche Leben wieder zu fördern und zum Hauptziel zu machen, wird eine seelsorgerliche Grundatmosphäre aufgebaut und geistliches Leben wieder als das Wesentliche der Gemeinschaft (der Menschen und mit Gott) erfahren.

Die Sehnsucht des Menschen geht dahin, geliebt zu werden und nicht bewertet. Liebevolle Annahme ist das wesentliche Element, was z.B. eine positive Eltern-Kind-Beziehung ausmacht. Ein Vater soll sein Kind nicht nach seinen (z.B. schulischen) Leistungen beurteilen. Das Kind sehnt sich nach der bedingungslosen Liebe, die tiefer geht. Die über die Äußerlichkeiten hinausgeht.

Von der Kanzel predigen wir gerne, dass Gott der Vater uns in dieser Weise liebt und annimmt. Und doch spricht das Leben auch in Gemeinde oftmals eine andere Sprache. (Es muss nicht gleich in Lieblosigkeit ausarten, Vernachlässigung dieses Prinzips reicht schon).
Die Wahrheit dieser Worte kann aber nur im tatsächlichen Miteinander der Menschen, die diese Worte predigen, als heilsame Wirklichkeit erfahren werden.
Wer Gottes Liebe und Güte predigt und nicht liebevoll und gütig mit sich selbst umgeht, macht sich und seine Lehre unglaubwürdig. Und gerade Leiter von Gruppen stehen da nicht nur für sich, sondern für die Gemeinschaft, die sie repräsentieren.

Ich glaube einfach, dass das Erleben dieser spirituellen Form von Gemeinschaft weitaus mehr nach Außen wirkt, als es die vielen Programme, Aktionen und Projekte tun. Ich habe ganz stark den Verdacht, dass die Menschen mit denen wir in Kontakt kommen, viel weniger an unseren "Angeboten" interessiert sind, und viel mehr Wert auf die Wahrnehmung des christlichen Wesens legen. Sie wollen wissen "wer bist du", und nicht "was machst du".
Sie wollen sehen "wie lebst du", und nicht "was sagst du".

Denn die Grundfrage ihres Lebens ist auch nicht: Was kann ich sagen und tun?
Die Grundfrage des Lebens ist: Wer darf ich sein, wie kann ich leben?

Hier fällt mir gerade der Klassiker "Haben oder Sein" von Erich Fromm ein. Aber in heutigen Gemeinden geht es nicht mehr um das Haben, als vielmehr um das Tun, was dem Sein im Wege steht.