2010-08-09

Morgengedanken: Das Gewebe des Lebens

Ein grüner Faden in einem roten Teppich ist bedeutungslos.

Erst viele grüne Fäden in einem roten Teppich werden wahrgenommen. Haben die Chance, Strukturen herauszubilden, Muster. Vielleicht sogar Muster mit Bedeutung.

Die Entscheidungen jedes Einzelnen, zu reden oder nicht zu reden, zu handeln oder nicht zu handeln, haben Einfluss auf seine Umgebung. Auf seine Mitmenschen. Setzen Impulse, oder nicht. Bringen andere dazu, zu reden oder nicht zu reden, zu handeln oder nicht zu handeln, eigene Entscheidungen zu treffen. Aktion führt zu Reaktion führt zu Reaktion führt zu Reaktion.

So sind wir alle Fäden in einem Gewebe. Fäden mit unterschiedlichen Farben. Jede Entscheidung, jede Aktion oder Nicht-Aktion hat Einfluss auf die Umgebung, und somit auf das Gesamtbild.

Zu jedem Zeitpunkt bildet die Summe aller Entscheidungen, aller Aktionen oder Nicht-Aktionen, Strukturen aus. Muster. Und diese Strukturen und Muster verbinden sich zu übergeordneten Strukturen und Mustern, zu Formen, bis sich schließlich das Gesamte zu einer Gesamtstruktur vereint. Die übergeordnete Gestalt des Seins formt sich heraus.

Gestalt des Seins vor dem Hintergrund des Nicht-Seins.

Jede Generation bildet die Basis, das Fundament, auf dem die nächste Generation heranwächst. Entscheidungen, Aktionen und Nicht-Aktionen bestimmen, welche Werte, welche Anlagen, welche Vorlagen wir der nächsten Generation als Grundlage ihrer Entscheidungen mit auf den Weg geben.

Die Welt ist im Wandel. Jede Generation trifft neue Entscheidungen, neue Aktionen und Nicht-Aktionen. Mit jeder Generation verändert sich das Gesamtbild, die Gesamtstruktur über die Zeit. Das Gebilde unterliegt insgesamt einer Evolution.

So wie ein Faden einen Anfang und ein Ende hat, so hat unser Leben ein Anfang und ein Ende.
Und ist doch Teil des Gesamtgewebes namens Leben.
Nicht nur zu einer Zeit, sondern über die Zeiten hinweg betrachtet, bildet das Leben ein Gesamtgebilde. Eine Struktur aus Strukturen der einzelnen Zeiten. Eine Über-Gestalt.

Auch wenn ein Leben nur 80 Jahre dauert, in einer Flut von Tausenden von Jahren, in einem See von Milliarden Individuen pro Generation. So ist doch jedes einzelne Leben ein Faden, der Teil des gesamten Gewebes ist, und mit zum Muster beiträgt.

Und das gesamte Muster mag mehr sein, als eine Ansammlung von Strukturen. Es mag Form haben, mag eine Gestalt bilden. Und mit dieser Gestalt auch Bedeutung.

Vielleicht ist ein Leben wenig bedeutsam, im Vergleich zur Menge an Menschen in der Welt, zu allen Zeiten. Aber jedes Leben ist doch Teil der gesamten Gestalt und trägt dazu bei.
Ein Atom für sich mag unwichtig sein. Aber alle Atome zusammen sind bedeutsam, bilden Körper, Wesen, mich.

Wenn es keine Atome gäbe, gäbe es mich nicht. Die Gesamtheit aller Leben, die wir leben, bildet die Gestalt des Lebens aus. Ein Leben mag für sich betrachtet wenig bedeutsam sein, aber wenn alle Leben bedeutungslos wären, gäbe es die Gesamtstruktur nicht. In der Gesamtstruktur liegt die Bedeutung des Einzelnen. Es geht ums Ganze.

Das Wissen um diese Zusammenhänge könnte unsere Entscheidungen, unsere Aktionen und Nicht-Aktionen beeinflussen. Wo bekommen wir dieses Wissen gelehrt? Sind wir in der Lage, es zu verstehen? Sind wir in der Lage, damit umzugehen? Oder macht es uns hilflos, sind wir überfordert? Resignieren wir?

Wer bin ich? Als Einzelner. In meinem sozialen Umfeld. Auf der Arbeit. In der Gemeinde. In den Beziehungen, in denen ich lebe.

Wer sind wir als Gemeinde? In unserem sozialen Umfeld. Unserer Stadt. Unserem Land. In den Beziehungsstrukturen, die wir leben. Oder auch nicht leben. Gestalten oder auch nicht gestalten.
Kontrollieren, oder einfach nur geschehen lassen.

Der Faden im Teppich weiß nichts von dem Muster, was er selbst mit bildet. Er kann es nicht erfahren. Nicht erfassen. Selbst das Wissen, Teil einer größeren Struktur zu sein, würde nicht helfen. Die Struktur zu Erfassen würde bedingen, sie zu verlassen. Aus ihr aufzusteigen und sie von außen wahrzunehmen. So bleibt es: Das Gewebe des Lebens können wir trotz aller Philosophie und Theologie nie wirklich begreifen. Unser Sein, unser Erleben ist mehr, als wir begreifen können. Hier steh' ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.

Gibt es einen Gott? Wenn ja, dann ist diese Wesenheit außerhalb des Gewebes namens Leben. Außerhalb der Gestalt, die unser aller Sein bildet.
Und damit ist sie erst recht unfassbar. Unbegreifbar. Jeglicher Versuch, sie zu verstehen muss zwangsläufig und unbedingt scheitern.

Alle unsere Versuche, über diese Wesenheit zu reden, sie in Worten darzustellen, müssen zwangsläufig weitaus zu kurz greifen. Sie sind lediglich Metaphern. Angepasst auf unseren Verstehenshorizont. Gedankenmodelle. Und armselige noch dazu.

Doch wo bekommen wir das überzeugend und begreifbar vermittelt? Wo werden uns klar und logisch die Grenzen des Verstehens gelehrt? Ich weiß, dass ich nicht weiß. Ich kenne mein Nichtwissen.

Viel zu oft verwechseln wir die Metaphern, die Gedankenmodelle, mit der Realität. Glauben, wir hätten die Wesenheit vollständig erfasst. Dann "wissen" wir plötzlich so viel. Wir "wissen", wie das Leben ist, wie Gott ist, wer wir sind, worum es geht, was zu tun ist und was zu lassen ist.
Und in diesem Moment entfernen wir uns weiter denn je von der Realität. Der göttlichen Wahrheit. Und wir merken es nicht einmal. Denn das Wissen um die eigenen Lücken und Grenzen setzt zunächst erstmal Wissen voraus. Aber anstatt nach dem Wissen zu streben, sind wir viel zu oft mit unseren Vermutungen und Phantasien zufrieden.

Wo bekommen wir gesundes Wissen gelehrt? Wo finden wir das, was in früheren Zeiten als Weisheit bezeichnet wurde? Das, was die Gesamtheit in den Blick nimmt und sich Zeit und Ruhe für Wahrnehmungen und Entscheidungen lässt? Nicht überhastet, nicht überlastet, nicht überstürzt? Nicht zu kurz greift, blind, mit Scheuklappen?

Quergedachte Gedanken - vertikal erhoben - der Blick frei - über den Tellerrand - zu neuen Horizonten

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Der letzte Link führt glaub ich nicht zu der Seite, die du uns zeigen willst.
Ansonsten wieder ein sehr philosophischer und Gedankenreicher Post ;-)

MentalRover hat gesagt…

Upsa, da war ein http zuviel ...
Danke Sven.