2009-11-24

Willow Creek "entdeckt" zwanzig Jahre alte Konferenzform

Irgendwie verblüfft und enttäuscht war ich schon, als ich wieder einmal feststellte, wie sehr Willow Creek in einer modernen Gesellschaft verhaftet bleibt und sich nicht von seinen Formen und Prinzipien lösen kann. Und dann -anstatt in Kommunikation mit der Gesellschaft- auf eigene Faust Erkenntnisse machen muss, die andere schon längst hatten.

So lesen wir im Newsletter diesen Monats:
[...]Nachdem der Kongres dann begonnen hatte, setzte am zweiten Tag ein Gewitter-Sturm die Elektrizität außer Gefecht, was bedeutete, dass weder der Beamer noch sonst etwas funktionierten. Der Kongress arbeitet mit hochauflösenden DVDs - also mußten die Anwesenden 4 Stunden lang auf einen Stromgenerator warten. Um die Zeit zu überbrücken, baten die Kongress-Organisatoren die Besucher, die Zeit zu nutzen und in ihren Teams den ersten Kongress-Tag auszuwerten.

Als der Generator endlich zur Verfügung stand, konnte der Kongress fortgesetzt werden. Für das Willow Team vor Ort war das ganze ein Alptraum. Wollten Sie doch gerne den Besuchern einen reibungslosen Kongress anbieten. Aber ... als der Kongress zu Ende war, ergab sich ein überwältigendes Feedback.

Ganze Teams berichteten davon, dass es gerade diese 4 Stunden Team-Zeit waren, die Gott benutzt hatte, um die Impulse des ersten Kongress-Tages zu vertiefen und daraus ganz konkrete Entscheidungen abzuleiten. Was zunächst als Störung wahrgenommen wurde, erwies sich im Nachhinein als großer Gewinn.

Only God ... so heißt es bei Willow immer wieder! Allein Gott kann so etwas bewirken.
Ohne das Wirken Gottes auf diesem Kongress in Abrede stellen zu wollen, finde ich es trotzalledem irgendwie wieder bezeichnend für das eingefahrene Willow-Denken: Kongresse funktionieren mit Beamern und DVDs, und wenn es Ausfälle gibt, ist das eine Katastrophe.
Kongresse funktionieren von vorne, und wenn man Teams und Gruppen Freiräume gibt, einfach drauflos zu arbeiten, dann ist das eine Katastrophe. Halleluja, welch Wunder Gottes, wenn es dann doch funktioniert, und auch noch als richtig gut empfunden wird!

Mich stimmt diese Geschichte eher ein wenig traurig, auf jeden Fall jedoch nachdenklich. Denn schließlich ist die Erkenntnis des beschriebenen Effektes nicht neu. Harrison Owen hatte ähnliche Erkenntnisse bereits 1985, und zwar nicht für eine christliche, sondern für eine Organisationsentwickler-Konferenz. Er schuf damals Open Space, heutzutage eine von mehreren Arten einer sogenannten Unkonferenz (Unconference), z.B. neben dem Bar Camp, welches es als Konferenzform nun auch schon seit mindestens vier Jahren gibt .

Wieso geht also eine so große Institution wie Willow Creek, die sich eigentlich genau mit solchen Themen, wie zeitgenössische Gesellschaft und ihre Erscheinungsformen, Tagungen und Kongressen usw. auskennt, hin und stellt so dar, als hätten sie es ganz plötzlich und völlig neu entdeckt?

Auch hier wieder kann ich nur sagen: Liebe Mitchristen, bleibt am Puls der Zeit! Sonst lauft ihr, wie leider so oft, nur der Gesellschaft hinterher.

Wie schwer scheint es doch im christlichen Sektor zu sein, die Macht des Expert-on-front aufzugeben, die Planungssicherheit der Agenda, die Steuerung und Kontrolle durch Handlungsvorgaben an Arbeitsgruppen und Konferenzteilnehmer, und stattdessen Vertrauen zu entwickeln. Vertrauen in die Teilnehmer und deren Kompetenz, Vertrauen in das, was in einer Gruppe auf dynamische Weise entstehen kann (Emergenz, Schwarmintelligenz, Gruppendynamik, wasauchimmer) und vor allem mal: Vertrauen in eben den Gott, den sie selbst postulieren.

Es ist für mich wirklich schwer zu verstehen, wie man die lebendige Dynamik biblischer Geschichten lesen und glauben kann, und dann völlig erstaunt und verblüfft vor der lebendigen Dynamik der Wirklichkeit steht, und Plänen, Konzepten und Techniken mehr vertraut hat, als dem lebendigen Gott?

Das ist für mich irgendwie bizarr!

2009-11-19

Was ist eigentlich ein "Kategorienfehler" ?

Was ist eigentlich ein Kategorienfehler?

Laut Wikipedia:
Unter Kategorienfehler versteht man eine bestimmte Art von Fehlschluss. Ein Kategorienfehler liegt vor, wenn ein Terminus einer bestimmten Kategorie durch einen Terminus ersetzt wird, der nicht zu dieser Kategorie gehört.
Unter dem Link zum Lexikon der Linguistik finden wir ein Beispiel:

Ein Ausländer kommt zum ersten Mal nach Oxford oder Cambridge, und man zeigt ihm eine Reihe von Colleges, Bibliotheken, Sportplätzen, Museen, Laboratorien und Verwaltungsgebäuden. Nach einiger Zeit fragt er:

„Aber wo ist denn die Universität? Ich weiß jetzt, wo die Mitglieder eines College wohnen, wo die Verwaltung untergebracht ist, wo die Wissenschaftler ihre Versuche machen und so weiter. Aber warum zeigt man mir nicht die Universität, wo die Mitglieder eurer Universität wohnen und arbeiten?“

Dann muss man ihm erklären, dass die Universität nicht noch eine weitere ähnliche Institution ist, ein weiteres Gegenstück zu den Colleges, Laboratorien und Verwaltungsgebäuden, die er schon gesehen hat. Die Universität ist einfach die Art und Weise, in der alles das organisiert ist, was er schon gesehen hat. Wenn man das alles gesehen und die Art und Weise der Zusammenarbeit verstanden hat, dann hat man die Universität gesehen.

Ein Kategorienfehler liegt also dann vor, wenn Begriffe miteinander in Beziehung gebracht werden, die gar nicht zur selben Kategorie gehören.

Ein Kategorienfehler kann aber auch dadurch entstehen, dass in einer Argumentation einem Wort zwei verschiedenene Bedeutungen aus unterschiedlichen Kontexten zugewiesen werden, ähnlich einem "Teekesselchen" (Bank als Sitzgelegenheit und Bank als Geldinstitut).
Meist ist die Verwechselung nicht so klar einsichtig wie in dem Bankbeispiel. Sie tritt meist dann auf, wenn oberflächlich gesehen klare Begriffe von verschiedenen Fachkreisen mit spezifischen Bedeutungen versehen werden.

So ist es in diesem Sinne ein Kategorienfehler, wenn in einer Diskussion um das Wort "Emergenz" auf einen Zusammenhang mit der "Chaostheorie" hingewiesen wird, und als Erläuterung dann der Begriff "Chaos" durch das biblische Tohuwabohu erläutert wird.

Der Fehler besteht darin, dass die Chaosforschung (wie sie besser genannt wird), die sich mit der Theorie der komplexen Systeme (wie sie korrekt heißt) auseinandersetzt, als Teilgebiet der Mathematik den Begriff "Chaos" ganz anders definiert. Sie sieht darin eine bestimmte Form von Prozess, dessen Vorhersagbarkeit stark reduziert ist, da eine minimale Veränderung der Eingangsvariablen zu einem stark verschiedenen Resultat am Ende führen. Dies ist oft auch auf Wechselwirkungen zwischen Variablen des betrachteten Systems zurückzuführen.
Einen Prozess als "chaotisch" zu bezeichnen ist in der Mathematik lediglich die sachliche Bezeichnung einer bestimmten deterministischen Qualität.

Der biblische Begriff Tohuwabohu hingegen drückt prinzipiell einen Zustand (und nicht einen Prozess) aus, der Wüste und Leere, Verwirrung und existenzielle Unordnung beinhaltet und durch göttliches Einwirken erst in den Zustand des "Kosmos", also der Schöpfungsordnung, überführt werden muss. Der Begriff hat somit eine ontologische, durchaus auch wertende Bedeutung und Qualität.

Aus den genannten Beschreibungen geht hervor, dass eine Verwechselung oder Vertauschung dieser beiden Begrifflichkeiten in einer Argumentation zwangsläufig zu Verwirrung und zu Fehlschlüssen führen muss, insbesondere wenn damit auch noch Wertungen verbunden sind.

2009-11-18

Stilblüten ...

Mir ist gerade eben beim Aufräumen ein altes Buch in die Hände gefallen, das sich auf christlicher Basis mit Hilfen für Gemütskranken beschäftigt. Neben so manchen durchaus richtigen und wichtigen Aussagen sind in dem Buch jedoch auch etliche Plattitüden, indifferente Aussagen und Vereinfachungen und Vermischungen zu finden.

Am Interessantesten sind jedoch ein paar Beispiele wirklich schlechten Schreib- und Denkstiles.

So schreibt der Autor:

Wenn wir nach der Ursache der Melancholie forschen, wissen die Kranken oft nichts Bestimmtes anzugeben. Bei einer nicht geringen Zahl setzt die Schwermut ohne jeden erkennbaren Grund ein. Häufig gibt der Kranke jedoch ein bestimmtes Erlebnis an, ...
Na was ist denn nun der häufige Fall? Die Unbestimmtheit, oder die Bestimmtheit?

Mit zunehmender Besserung schwächen sich die krankhaften Erscheinungen mehr und mehr ab.
Nun, das ist quasi eine Nicht-Aussage, da das Abnehmen krankhafter Erscheinungen wohl genau die Definition von zunehmender Besserung ist.

Da die Melancholie eine organisch bedingte Krankheit ist, deren Ursache bis heute noch nicht genau erklärt werden konnte...
Frage: Wie kann man die organische Bedingtheit behaupten, wenn doch die Ursache ungeklärt ist? Oder ist "organisch bedingt" nicht eben die Darstellung einer Ursache?
... während er im depressiven Stadium aufgrund seiner Entschlußunfähigkeit und geistigen Schwerfälligkeit von sich aus seine Stellung aufgibt ...
Verwirrend: Wie kann Entschlußunfähigkeit mit dem aktiven Treffen eines Entschlusses in einem Satz genannt werden?

Nun, wie gesagt, das Buch ist schon älter. Aber es ist durchaus ein Symptom für die Art, wie leider manchmal immer noch argumentiert und publiziert wird. Wenn gerade auch in heutiger, in wissenschaftlichem und logischem Denken trainierter Kultur auf solche mit logischen Stilblüten gespickte Weise argumentiert und gelehrt wird, wird verständlich, warum Christen auf entsprechenden Schauplätzen nur schwer Gehör finden.
Mit tut so etwas immer irgendwie weh.