>>>Umgeben von Steinbrocken saßen drei Steinmetze unter einem Bretterdach und schlugen aus Blöcken Figuren und Rosetten. Ein Mann stellte sich dazu und beobachtete ihre Arbeit. "Sagt mir, was ihr da macht?", fragte er sie. Einer sagte ihm: "Ich verdiene hier mit meinen Händen das Brot für mich und meine Familie". Der andere: "Ich habe gelernt, Steine zu behauen, und das macht mir Freude". Der dritte antwortete: "Ich baue eine Kathedrale".<<<
Eine nette Geschichte, die ich in den letzen vier Tagen gleich dreimal in unserer Gemeinde zu hören bekam: Im Rahmen einer Andacht am Mitarbeitertag, als Besinnungstext in unserem Gemeindeblatt und als Predigttext am Sonntagmorgen durch einen Gastprediger.
Natürlich ist diese Geschichte eine nette Metapher, und soll auf die drei verschiedenen Perspektiven hinweisen, mit denen wir an unsere Gemeindemitarbeit herangehen können. Natürlich ist die Kathedrale ein brauchbares Bild dafür, dass wir ja alle am Reich Gottes bauen, und Jesus ist der Bauherr.
Und doch: Irgendwie machte mich dieses Bild jedesmal ziemlich nervös.
Woran liegt das? Dem möchte ich mal ein wenig nachgehen.
Vielleicht daran, dass ich mich frage, wieso immer noch solche mittelalterlichen Metaphern benutzt werden, um die Gemeinde zu motivieren. Kathedralenbau ist uns heutzutage fremd. Uns ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, wie es ist eine Kathedrale zu bauen. Mit überaus enormem Aufwand. Über Generationen hinweg. Wir wissen nicht, wie es ist, an so einem Bau teilzuhaben, bei dem Generationen(!) von Arbeitern ihr Leben lassen, ohne wirklich eine Vorstellung vom fertigen Bauwerk bekommen zu haben.
Vielleicht liegt es auch daran, dass heutzutage der Tempelbegriff keine Bedeutung mehr hat. Das Konzept des Sakralen Gebäudes ist Menschen heute fremd. Von niemandem auf der Straße oder in den Büros oder gar Schulen kann man Verständnis für den Begriff "Kathedrale" erhalten. Ein Gebäude soll einen Zweck haben. Soll zu etwas nütze sein. Entsprechend ist ein Gemeinde-Versammlungsbau auch nicht mehr mit unmengen Zierrat, Gold, Stuck, Türmen usw. versehen. Auch freien Gemeinden ist die "Kathedrale" letztlich fremd.
Es liegt vielleicht auch daran, dass ich als Softwareentwickler und aktiver Web-Teilnehmer in der Open-Source Welt lebe und daher beim Begriff "Kathedrale" immer an
das Essay von Eric S. Raymond zu den beiden Entwicklungsstilen denken muss. Sein Titel:
"Die Kathedrale und der Basar".In diesem Essay untersucht er die Entwicklungsstile kommerzieller Firmen im Vergleich zu Open-Source Projekten, und stellt auch deren soziale Implikation heraus.
Mit der Kathedrale bezeichnet er dabei den Entwicklungsstil von großen Firmen, wie z.B. IBM (früher) oder Microsoft. Eine Führungshierarchie mit dem Chefentwickler an oberster Stelle bestimmt wo es lang geht. Alle arbeiten unter ihrer Führung und strikten Anordnung an einem Produkt, dessen Aussehen letztlich von eben der Chefetage bestimmt wird. Und wenn das Produkt fertig ist, bekommt die Öffentlichkeit es zu sehen. Closed-Shop. Kathedrale.
Im Gegensatz dazu funktionieren Open-Source Projekte --so sagt er-- wie ein Basar. Die Programmquellen liegen offen. Jeder kann sie einsehen, frühzeitig ausprobieren, an der Entwicklung teilhaben. Jeder kann seine eigenen Ideen einbringen, weitere Impulse hinzutragen, Fehler und Mängel entdecken. Oder auch mit seinen Fähigkeiten (Design, Dokumentation,...) zum Projekt beitragen.
Das Projekt selbst erscheint mehr als ein Basar, der aus vielen bunten Ständen entsteht, an denen jeder seine eigenen Fähigkeiten feilbietet, und an denen andere sich genau das abholen können, was sie brauchen. Insbesondere: Der Basar hört nicht auf zu existieren, nur weil einige Stände abgebaut werden. Jeder Stand trägt gleichermaßen und auf unterschiedliche Weise zu dem Gesamtgeschehen bei.
Natürlich gibt es einen Aufseher, der darauf achtet, dass das gängige Marktrecht eingehalten wird. Aber es gibt nun einmal nicht den Chefarchitekten, der alleinig der Ideengeber, der geniale Künstler ist. Von Linus Torvalds (den Initiator von Linux) sagt er, dass er kein besonders genialer Designer sei, sondern dass seine Fähigkeit darin bestünde, Genialität in Designvorschlägen, die andere ihm machen, zu erkennen, und diese Leute in das Gesamtgeschehen zu integrieren.
Zitate:
"Mit ein bißchen Ermunterung werden Ihre Anwender Probleme diagnostizieren, entsprechende Änderungen vorschlagen und bei der Verbesserung des Codes in einer Weise mitwirken, die Sie alleine nie zustande bringen könnten."
"Die Durchschlagskraft dieser Erscheinung unterschätzt man leicht. Tatsächlich ist es so, daß so gut wie alle von uns in der Open Source-Welt drastisch unterschätzt haben, wie gut diese Kraft mit der Anzahl der Anwender und gegen die Systemkomplexität skaliert, bis Linus Torvalds uns darauf hingewiesen und es demonstriert hat."
"Aber nur ein Jahr später, als Linux bereits einige Breitenwirkung entfaltet hatte, war klar, daß dort etwas anderes und viel gesünderes vorging. Linus' Politik der für alle offenen Entwicklung war das exakte Gegenteil des Kathedralen-Stils. ... Linus behandelte Anwender als Mit-Entwickler, und das in der effektivsten nur möglichen Weise."
"Früh freigeben. Oft freigeben. Seinen Anwendern zuhören."
Wie wird nun dieser Vergleich auf die Gemeindesituation übertragen?
Nun, solange man mit "Bauherr" oder "Architekt" Jesus bezeichnet, scheint ja noch alles in Ordnung zu sein. Problematisch wird es aber, wenn der Kathedralen-Bau einer Gemeinde dadurch stattfindet, dass es einen menschlichen Architekten gibt, der seine eigene Bauzeichnung und -planung umgesetzt sehen möchte. Wenn alle Mitarbeiter sich zwar mit ihren Gaben einbringen sollen, aber die Form der Rosetten und Blöcke durch den Architekten bereits vorgegeben ist. Und solange wir in dem Bild der Kathedrale das Reich Gottes sehen, ist es ja auch noch ganz OK. Wenn aber die Kathedrale die
Gemeinde ist, dann wird es schon schwieriger.
(Und häufig wird das miteinander verwechselt).
Gerade in heutiger postmoderner Zeit, die ja eben auch die Open-Source-Welt hervorgebracht hat (und umgekehrt!), ist die Frage, ob das Kathedralen-Bild noch adäquat ist, und ob man damit Menschen wirklich zur Mitarbeit bewegen kann.
Das Basar Bild, in dem jeder Teilnehmer sich mit seinen Fähigkeiten einbringen kann und in dem jeder Besucher einen Stand finden kann, der seine Bedürfnisse und Nöte anspricht, scheint mir viel interessanter als Perspektive zu sein. Hey, hier ist Basar. Sei willkommen und bau deinen Stand auf. Was hast du anzubieten? Dein Stand hat eine andere Farbe? Was macht das schon!
Folgende Fragen können Hinweise darauf geben, ob ein Kathedralen- oder ein Basar-Stil gepflegt wird:
- Können Gottesdienstbesucher auch mehr oder weniger spontan einen Beitrag einbringen, auch wenn er nicht in das ursprüngliche Konzept des Gottesdienstleiters passte?
- Gibt es in Gemeinde Foren gemeinschaftlicher Ideenfindung, Austausch von Gedanken, usw.?
- Ist es möglich, für unterschiedliche Zielgruppen unterschiedliche Angebote zu machen, ohne dass es gleich in einen "Kulturschock" mündet?
- Gibt es mehr als einen (akzeptierten!!) Stil der Gottesdienstgestaltung, Gruppengestaltung, Lebensgestaltung ...?
und so einige Fragen mehr.
Was mich am Kathedralen-Anekdotentext auch stört, ist folgendes:
Der Text führt leicht dazu, den dritten Steinmetz in den Vordergrund zu rücken: Wenigstens dieser hat eine Vision, ein wirkliches Ziel, sieht das Ganze, das Zukünftige. Und mit dieser Vision steht er als Vorbild da.
Interessant ist aber, dass ganz klar drei Personen an der Kathedrale arbeiten, aber nur einem Drittel ist tatsächlich als ZIEL klar und bewußt vor Augen, woran er arbeitet. Was tun die anderen?
Einer tut, was er muss (um Brot zu verdienen und zu überleben). Er haut Steine, ohne dass irgendjemand die Frage stellt, ob er andere Dinge nicht viel besser könnte. Dinge, die der Allgemeinheit vielleicht nützen würden, aber nicht der Kathedrale. Seine Bedürfnisse, vielleicht sogar Nöte, die ihn dazu bringen, diese Arbeit zu tun, werden nicht thematisiert.
Ein anderer tut, was er besonders gut kann. Was ihm Spaß macht. Aber letztlich ist es ihm egal, ob er eine Kathedrale baut, eine Fabrikhalle oder eine Gruft. Er benutzt den Kathedralenbau als Gelegenheit, und seine Leidenschaft wird zum Zweck benutzt. Offensichtlich hat ihm niemand klar zu machen versucht, WOZU er denn Steine haut. Offensichtlich bringt er seine Tätigkeit nicht mit seiner Gottesbeziehung in Verbindung. Die Frage scheint berechtigt, wie denn eigentlich seine Gottesbeziehung aussieht. Aber niemand scheint mit ihm darüber gesprochen zu haben. Eine Kathedrale -und somit auch seine momentane Arbeit- hat aber nunmal mit Gott zu tun, und mit Gottesbeziehung.
Wir sehen an diesen Beiden: Den Bauherren war der Bau der Kathedrale wichtiger, als die Menschen, die daran mitbauen.
Moderne Betrachtung ist aber: Gemeinde wird aus den Teilnehmern gebaut. Nicht aus Gebäude. An vielen anderen Orten ist schon die Tendenz zeitgenössischer Gemeinden kritisiert worden, sich auf Gebäude zu fokussieren, und nicht erst seit Kurzem denkt man über Alternativen nach.
Gemeinde ist die Summe der Menschen an einem Ort.
Wichtiger als der Kathedralen-Bau, ist der Gemeindebau. Und womöglich wird durch einen Basar viel mehr zum Gemeindebau beigetragen, als man vorhersehen kann. Wie im Open-Source Bereich eben.
Viele Gedanken, viele Aspekte ... Der Text ist hier nicht zu Ende. Er fängt erst an ...