2009-09-28

Gemeinde in der Gesellschaft und die Politikverdrossenheit

Inkarnatorische Gemeinde, Relevanz in der Gesellschaft.

"Ich bin sicher, dass sie das Richtige ankreuzen" sagte unser Pastor letzten Sonntag im Gottesdienst.

Heute lese ich einen Artikel, und darin wird von "inkarnatorischer Gemeinde" gesprochen. Gemeinde im kulturellen und sozialen Kontext.

Während sowohl in Schulen als auch bei Parteien eine sog. Politikverdrossenheit beklagt wird, drücken es gerade auch jüngere Bundesbürger konkret aus, was sie empfinden: Bei all dem unsachlichen Werberummel, gegenseitige Beschuldigungen, eigenen Versprechungen, die mal gehalten werden und mal nicht, politischem Um-den-Brei-herumreden und Polit-Skandalen...
Wem sollte man denn seine Stimme geben?

Die politische Landschaft ist unübersichtlich geworden. Vom Normalbürger eigentlich nicht mehr zu durchschauen.

Gleichzeitig wird der Ruf in Kirchen laut, wieder mehr Teil der Gesellschaft zu werden, sich auch auf seine Bürgerpflichten, gerade auch als Christ, zu besinnen.

Meine Frage, leider mal wieder viel zu spät, ist: Inwieweit machen wir denn als Gemeinden eigentlich in dieser Hinsicht ernst?

Geben wir unseren jungen Leuten, oder auch den verdrossenen nicht-mehr-so-jungen Menschen in unserer Gemeinde, Informationen an die Hand? Geben wir ein Leitbild?

Letzlich bleibt in Gemeinde jeder sich selber überlassen, wenn es darum geht, eine Entscheidung zu treffen. Und damit kommt es häufig zur Nicht-Entscheidung.

Wenn es Kirchen und Gemeinden so wichtig ist, dass Gemeindeglieder ihre Bürgerpflicht wahrnehmen, wenn es ihnen ebenso wichtig ist, aufgrund christlicher, biblischer Grundlage Einfluss auf die politische Landschaft zu nehmen, wieso gibt es dann keine Infoveranstaltungen zu den Parteiprogrammen?
Wieso muss man ausschliesslich für sich selbst einen Wahlomaten bemühen?

In Gemeinden findet man leichter ein Public-Viewing zur Europameisterschaft als Politic-Informing zur Europawahl.

Wohlgemerkt: Ich rede hier nicht davon, dass Gemeinde Manipulation betreiben soll und auf die Wahl einer bestimmten Partei durch die Gemeindeglieder hinwirken soll. Jeder soll weiterhin eigenständig seine Entscheidung treffen.

Es geht vielmehr darum, dass den (jungen) Teilnehmern am Gemeindeleben durch diese Art von Veranstaltung der Bezug zwischen Gemeinde und Gesellschaft, zwischen Glauben und Alltag, zwischen Christ-sein und Bürger-sein erfahrbar nahe gebracht wird.
Darum, dass durch einen gemeinsamen Austausch, durch Gespräch über gesellschaftliche Themen, die uns alle direkt betreffen, auch ein Hintergrundwissen vermittelt und Entscheidungshilfen an die Hand gegeben werden.

2009-09-09

Lehrer, Aufmerksamkeitsdefizit und Frontalunterricht

Gestern abend gab es einen interessanten Beitrag im Fernsehen, in dem eine junge Hauptschullehrerin bei der Arbeit beobachtet und begleitet wurde.

Man berichtete von den vielen sozialen Problemen, die sie als Lehrerin neben der Vermittlung des Unterrichtsstoffes noch zu meistern habe. Davon, dass 36 Prozent der Klasse nicht richtig deutsch sprechen, und daher manche Aufgaben im Deutschunterricht von ihnen nicht zu bewältigen sind. Von den Aufmerksamkeits- und Verständnisschwächen im Bereich mathematischer Aufgaben.

Offensichtlich kam sie mit ihrem Unterricht bei den Schülern an, denn mit viel Mühe und Einsatz versuchte sie, einen abenteuerlichen Unterricht zu gestalten. Durch Anfassen, Sehen von selbstgebastelten Modellen, riechen, schmecken. Gruppenarbeiten, in denen die Schüler selbst gefordert sind, Beiträge zu erarbeiten.

Eine zentrale Aussage war, das die Vermittlung des Unterrichtsstoffs bei den Schülern überhaupt keine Chance hätte, wenn sie den regulären Frontalunterricht durchziehen würde.

Nun frage ich mich: Wenn solche Erkenntnisse im Bereich der Erziehung und Pädagogik doch allgemeines Wissensgut sind, wieso wir glauben, dass wir Menschen mit einem Frontalgottesdienst erreichen können. Durch unsere Gewohnheit, abstrakte Lehren rein verbal durch eine Kanzelpredigt zu vermitteln, haben wir nicht nur diese Generation, sondern auch diese soziale Schicht von vornherein aus der Gottesdienstbeteiligung ausgeschlossen.
Machen wir das eigentlich bewusst? Wollen wir das so?

Eine postmoderne Begegnung

Gestern abend traf ich zufällig in der S-Bahn jemanden wieder, der bei uns in der Gemeinde groß geworden war, jetzt aber außerhalb unserer Stadt studiert. Bei dem Gespräch ging es dann irgendwann auch um das Thema Glauben bzw. Gemeinde.

Interessant war für mich die Aussage: "Ich habe mich am Studienort keiner Gemeinde angeschlossen. Es gibt dort zwar eine, aber ich möchte mit meinem Leben und Glauben erstmal selber klar kommen, und wenn ich möglicherweise sogar mal regelmäßig zu der Gemeinde ginge, würde ich da wahrscheinlich schnell zur Mitarbeit eingebunden. Das kann ich grad gar nicht brauchen, ist aber irgendwie so in unseren Gemeinden."

Ja? Ist das so? Vielleicht. Vielleicht sogar ziemlich sicher, denn unsere Gemeinden klagen ja immer über mangelnde Mitarbeiterzahlen für die ganzen "Arbeitsgruppen" und "Projekte", die so laufen.

Und da fällt mir sofort auf, was mir diffus immer etwas Bauchschmerzen an unserem Gemeindeleitbild bereitet hat:

Wir wollen dazu beitragen, dass Menschen zum Glauben an Jesus Christus finden, ihn als Hilfe für ihr Leben erfahren und engagierte Christen werden
(Hervorhebungen von mir)

Während das Thema Lebenshilfe durchaus ein enorm wichtiger Punkt ist, bleibt die Frage, wie denn das Wort "engagiert" zu verstehen ist.

Engagiert bezeichnen wir meist jemanden, der sich einsetzt. Der Zeit, Geld, Kreativität für eine Sache einsetzt. Für eine Sache einsteht oder gar kämpft. Das Wort "engagiert" kommt also aus dem aktivistischen Bereich. Greenpeace-Aktivisten sind engagiert. Die Gewerkschaft ist engagiert. Autoverkäufer sind engagiert.

Was aber ist ein "engagierter" Christ? Oder was versteht die Allgemeinheit der Gemeindeglieder darunter? Ein Christ --oder besser: ein Gemeindemitglied-- welcher sich als Mitarbeiter in mindestens einem Arbeitsbereich hervortut? Welcher mehrere Abende die Woche mit Gemeindegruppen und Gemeindeterminen verbringt?

Ist das das Bild, was wir den Jugendlichen in unserer Gemeinde vermitteln? Dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn die Jugendlichen die Gemeinde (sprich: Das Beteiligtsein an einer Gemeinde) verlassen, sobald sie sich vom Elternhaus lösen und womöglich in eine andere Stadt ziehen.

Nicht nur, dass unsere "Gemeindekinder" plötzlich den Kontakt zu einer Gemeinde verlieren. Nein, das funktioniert auch andersherum. Schließlich leben wir in einer Großstadt mit einer Universität, mit Ausbildungsplätzen. Viele Jugendliche kommen hierher, um in das Berufsleben einzusteigen. Sie kommen von außerhalb, haben sich gerade von ihrer Heimatgemeinde gelöst.

Aber kommen sie in unsere Gemeinde? Suchen sie unsere Gemeinschaft? Wohl äußerst(!) selten. So ziehen unsere Jugendlichen aus Stadt und Gemeinde weg, und keine anderen Jugendlichen in die Gemeinde ein. So entsteht der Einbruch der 20+ jährigen in Gemeinde.

Hinzu kommt noch, dass es für Jugendliche in dieser Altersgruppe, die reflektierter und differenzierter mit dem theologischen Gedankengut umgehen, plötzlich nicht mehr so einfach ist, ihre Meinung, Ansichten, Fragen in Gemeinde offen zu äußern. Auch das war kurz Thema in diesem Gespräch. Die Befürchtung, in der Gemeinde am neuen Ort nicht einfach akzeptiert zu sein, wenn man sich als "Christ" bezeichnet und doch mit zweifelhaften Fragen oder "weltlich" geprägten Ansichten auftritt. Als nicht in der Gemeinde geborener kann man da leicht zum Missionsobjekt werden.

Auch hier wieder die Frage: Wie gehen wir als Gemeinde eigentlich mit den Menschen um uns herum um? Welche mentalen Grenzen von "drinnen" und "draußen" bauen wir auf?

Es bleibt der Eindruck, dass offensichtlich Gemeindekinder, die während einer wichtigen Entwicklungsphase Gemeinde hautnah erlebten vielleicht Jesus Christus, auf jeden Fall aber nicht unbedingt die Gemeinde als "Hilfe für ihr Leben" erfahren haben. Zumindest nicht in den letzten Jahren ihres Heranwachsens.

Das ist ein alarmierendes Zeichen, und daran müssen wir arbeiten. Wir sollten dazu mal eine Arbeitsgruppe gründen und ein paar Mitarbeitertermine zu dem Thema einplanen...

2009-09-04

Morgengedanken: Worum geht es eigentlich?

Heute morgen kam ich aus dem Haus, als unser Nachbar gerade dabei war, mit so einer elektrischen Superpuste das Laub von unserer Straße zu blasen, dass der Sturm über Nacht von den Eichen gerissen hat. Er rief zu mir herüber: "Was für eine Schweinerei, ne?" und die einzige Antwort, die mir einfiel war: "Is eben Natur!".

Du meine Güte! Die ganze Zeit auf dem Weg zur S-Bahn dachte ich daran, wie wir immer mehr die Natur aus unseren Städten verdrängen wollen. Sie soll keinen Schmutz machen, keine Arbeit. "Ich kann nicht mehr so im Garten arbeiten, wie früher, deswegen wollte ich den Rasen wegmachen und durch schöne Pflastersteine ersetzen." Und: "Das Heckeschneiden ist so aufwändig, ich werde die Hecke wegmachen und durch einen Zaun ersetzen. Grüne Stahlnetzgitter, die sind haltbarer wie Holzlatten" usw. usw.

Als ich weiter auf dem Weg zur Arbeit war, hörte ich einige Gespräche in den Bahnen, teilweise am Handy, und das Ganze verlief in einem noch globaleren Gedanken. Brauchen die Menschen hier um mich herum eigentlich Gott? Und wenn ja, warum? Was würde das in ihrem Leben verändern?

In den Gesprächen bezüglich Veränderung in unserer Gemeinde, Relevanz der Kirche in der Gesellschaft und persönliche Evangelisation kommt schnell der Punkt, wo es um Aktivitäten geht. Welche anderen Angebote sollen wir machen? Mit welchen Aktivitäten können wir Leute erreichen? Welche Projekte müsste man starten, um relevant für die Gesellschaft zu sein? - Und dann wenig später natürlich: Wo sind die, die die Initiative ergreifen? Wo sind die Mitarbeiter, die Zeit in die Projekte investieren?

All diese Stränge fügten sich heute morgen zu einem Gedanken zusammen, als ich auf der Arbeit ankam:

Zu der Frage: "Worum geht es eigentlich?" und zu der spontanen Antwort: "Um Frieden!"

Frieden - ein Oberbegriff, ein umfassendes Konzept für weitere Dinge, die sich darunter subsummieren.

Frieden, darin steckt auch das Wort zu-frieden. Zufrieden sein, mit der Umwelt, mit dem, was man hat (das heißt aber nicht Status Quo!! Es geht dabei auch um Möglichkeiten die man "hat"!, Chancen zur Veränderung, die durchaus vorhanden sind, im Gegensatz zu den nicht vorhandenen Möglichkeiten).

Frieden - zufrieden - darin steckt auch Versöhnung. Das Versöhnt-Sein mit der Lebenssituation, in der man steckt. Mit dem Leben an sich. Mit den Veränderungen, die das Leben mit sich bringt. Auch mit dem Sterben.

Wenn ich mich frage, wo es uns mangelt, wo es MIR mangelt, so stelle ich fest, dass ich all diese Probleme und Fragen auf dieses Grundkonzept zurückführen kann: Unfrieden. Unzufriedenheit und Unversöhntheit.

Und alles was ich in den letzten Wochen und Monaten erlebt habe, was mich belastet hat, und auch die Erlebnisse heute morgen auf dem Arbeitsweg lassen sich darauf zurückführen. Wir leben in einer Gesellschaft, in der die meisten Generationen "Krieg" nicht mehr kennen. Wir leben in relativer wirtschaftlicher Stabilität (trotz sog. Wirtschaftskrise), wir leben in einem relativ sicheren, freien Staat. Und doch: Wenn wir beobachten, wie die Beziehungen zwischen Menschen aussehen -egal ob auf persönlicher, gemeinschaftlicher oder beruflicher Ebene-, so ist ein allgemein latenter Unfriede zu beobachten.

Gleichzeitig aber auch eine Sehnsucht nach Frieden. Und ich denke, das ist der wesentliche Punkt, wo wir als Christen, als Gemeinde einen Unterschied machen könnten. Das ist der Punkt, über den es nachzudenken gilt, aber an dem wir selbst noch enorm arbeiten müssen. Die Frage: "Wie kann ein Leben in Frieden gelingen?"

Und ich denke, dass ist die wesentliche Frage, die uns zur Umsetzung unseres Leitbildes weiterhelfen kann: "Wir wollen dazu beitragen, dass Menschen zum Glauben an Jesus Christus finden, ihn als Hilfe für ihr Leben erfahren, und engagierte Christen werden".

2009-09-01

Steinmetze, Kathedralen ... und der Basar

>>>Umgeben von Steinbrocken saßen drei Steinmetze unter einem Bretterdach und schlugen aus Blöcken Figuren und Rosetten. Ein Mann stellte sich dazu und beobachtete ihre Arbeit. "Sagt mir, was ihr da macht?", fragte er sie. Einer sagte ihm: "Ich verdiene hier mit meinen Händen das Brot für mich und meine Familie". Der andere: "Ich habe gelernt, Steine zu behauen, und das macht mir Freude". Der dritte antwortete: "Ich baue eine Kathedrale".<<<

Eine nette Geschichte, die ich in den letzen vier Tagen gleich dreimal in unserer Gemeinde zu hören bekam: Im Rahmen einer Andacht am Mitarbeitertag, als Besinnungstext in unserem Gemeindeblatt und als Predigttext am Sonntagmorgen durch einen Gastprediger.

Natürlich ist diese Geschichte eine nette Metapher, und soll auf die drei verschiedenen Perspektiven hinweisen, mit denen wir an unsere Gemeindemitarbeit herangehen können. Natürlich ist die Kathedrale ein brauchbares Bild dafür, dass wir ja alle am Reich Gottes bauen, und Jesus ist der Bauherr.

Und doch: Irgendwie machte mich dieses Bild jedesmal ziemlich nervös.

Woran liegt das? Dem möchte ich mal ein wenig nachgehen.

Vielleicht daran, dass ich mich frage, wieso immer noch solche mittelalterlichen Metaphern benutzt werden, um die Gemeinde zu motivieren. Kathedralenbau ist uns heutzutage fremd. Uns ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, wie es ist eine Kathedrale zu bauen. Mit überaus enormem Aufwand. Über Generationen hinweg. Wir wissen nicht, wie es ist, an so einem Bau teilzuhaben, bei dem Generationen(!) von Arbeitern ihr Leben lassen, ohne wirklich eine Vorstellung vom fertigen Bauwerk bekommen zu haben.

Vielleicht liegt es auch daran, dass heutzutage der Tempelbegriff keine Bedeutung mehr hat. Das Konzept des Sakralen Gebäudes ist Menschen heute fremd. Von niemandem auf der Straße oder in den Büros oder gar Schulen kann man Verständnis für den Begriff "Kathedrale" erhalten. Ein Gebäude soll einen Zweck haben. Soll zu etwas nütze sein. Entsprechend ist ein Gemeinde-Versammlungsbau auch nicht mehr mit unmengen Zierrat, Gold, Stuck, Türmen usw. versehen. Auch freien Gemeinden ist die "Kathedrale" letztlich fremd.

Es liegt vielleicht auch daran, dass ich als Softwareentwickler und aktiver Web-Teilnehmer in der Open-Source Welt lebe und daher beim Begriff "Kathedrale" immer an das Essay von Eric S. Raymond zu den beiden Entwicklungsstilen denken muss. Sein Titel: "Die Kathedrale und der Basar".
In diesem Essay untersucht er die Entwicklungsstile kommerzieller Firmen im Vergleich zu Open-Source Projekten, und stellt auch deren soziale Implikation heraus.

Mit der Kathedrale bezeichnet er dabei den Entwicklungsstil von großen Firmen, wie z.B. IBM (früher) oder Microsoft. Eine Führungshierarchie mit dem Chefentwickler an oberster Stelle bestimmt wo es lang geht. Alle arbeiten unter ihrer Führung und strikten Anordnung an einem Produkt, dessen Aussehen letztlich von eben der Chefetage bestimmt wird. Und wenn das Produkt fertig ist, bekommt die Öffentlichkeit es zu sehen. Closed-Shop. Kathedrale.

Im Gegensatz dazu funktionieren Open-Source Projekte --so sagt er-- wie ein Basar. Die Programmquellen liegen offen. Jeder kann sie einsehen, frühzeitig ausprobieren, an der Entwicklung teilhaben. Jeder kann seine eigenen Ideen einbringen, weitere Impulse hinzutragen, Fehler und Mängel entdecken. Oder auch mit seinen Fähigkeiten (Design, Dokumentation,...) zum Projekt beitragen.

Das Projekt selbst erscheint mehr als ein Basar, der aus vielen bunten Ständen entsteht, an denen jeder seine eigenen Fähigkeiten feilbietet, und an denen andere sich genau das abholen können, was sie brauchen. Insbesondere: Der Basar hört nicht auf zu existieren, nur weil einige Stände abgebaut werden. Jeder Stand trägt gleichermaßen und auf unterschiedliche Weise zu dem Gesamtgeschehen bei.

Natürlich gibt es einen Aufseher, der darauf achtet, dass das gängige Marktrecht eingehalten wird. Aber es gibt nun einmal nicht den Chefarchitekten, der alleinig der Ideengeber, der geniale Künstler ist. Von Linus Torvalds (den Initiator von Linux) sagt er, dass er kein besonders genialer Designer sei, sondern dass seine Fähigkeit darin bestünde, Genialität in Designvorschlägen, die andere ihm machen, zu erkennen, und diese Leute in das Gesamtgeschehen zu integrieren.

Zitate:
"Mit ein bißchen Ermunterung werden Ihre Anwender Probleme diagnostizieren, entsprechende Änderungen vorschlagen und bei der Verbesserung des Codes in einer Weise mitwirken, die Sie alleine nie zustande bringen könnten."

"Die Durchschlagskraft dieser Erscheinung unterschätzt man leicht. Tatsächlich ist es so, daß so gut wie alle von uns in der Open Source-Welt drastisch unterschätzt haben, wie gut diese Kraft mit der Anzahl der Anwender und gegen die Systemkomplexität skaliert, bis Linus Torvalds uns darauf hingewiesen und es demonstriert hat."

"Aber nur ein Jahr später, als Linux bereits einige Breitenwirkung entfaltet hatte, war klar, daß dort etwas anderes und viel gesünderes vorging. Linus' Politik der für alle offenen Entwicklung war das exakte Gegenteil des Kathedralen-Stils. ... Linus behandelte Anwender als Mit-Entwickler, und das in der effektivsten nur möglichen Weise."


"Früh freigeben. Oft freigeben. Seinen Anwendern zuhören."



Wie wird nun dieser Vergleich auf die Gemeindesituation übertragen?

Nun, solange man mit "Bauherr" oder "Architekt" Jesus bezeichnet, scheint ja noch alles in Ordnung zu sein. Problematisch wird es aber, wenn der Kathedralen-Bau einer Gemeinde dadurch stattfindet, dass es einen menschlichen Architekten gibt, der seine eigene Bauzeichnung und -planung umgesetzt sehen möchte. Wenn alle Mitarbeiter sich zwar mit ihren Gaben einbringen sollen, aber die Form der Rosetten und Blöcke durch den Architekten bereits vorgegeben ist. Und solange wir in dem Bild der Kathedrale das Reich Gottes sehen, ist es ja auch noch ganz OK. Wenn aber die Kathedrale die Gemeinde ist, dann wird es schon schwieriger.
(Und häufig wird das miteinander verwechselt).

Gerade in heutiger postmoderner Zeit, die ja eben auch die Open-Source-Welt hervorgebracht hat (und umgekehrt!), ist die Frage, ob das Kathedralen-Bild noch adäquat ist, und ob man damit Menschen wirklich zur Mitarbeit bewegen kann.

Das Basar Bild, in dem jeder Teilnehmer sich mit seinen Fähigkeiten einbringen kann und in dem jeder Besucher einen Stand finden kann, der seine Bedürfnisse und Nöte anspricht, scheint mir viel interessanter als Perspektive zu sein. Hey, hier ist Basar. Sei willkommen und bau deinen Stand auf. Was hast du anzubieten? Dein Stand hat eine andere Farbe? Was macht das schon!

Folgende Fragen können Hinweise darauf geben, ob ein Kathedralen- oder ein Basar-Stil gepflegt wird:

  • Können Gottesdienstbesucher auch mehr oder weniger spontan einen Beitrag einbringen, auch wenn er nicht in das ursprüngliche Konzept des Gottesdienstleiters passte?
  • Gibt es in Gemeinde Foren gemeinschaftlicher Ideenfindung, Austausch von Gedanken, usw.?
  • Ist es möglich, für unterschiedliche Zielgruppen unterschiedliche Angebote zu machen, ohne dass es gleich in einen "Kulturschock" mündet?
  • Gibt es mehr als einen (akzeptierten!!) Stil der Gottesdienstgestaltung, Gruppengestaltung, Lebensgestaltung ...?

und so einige Fragen mehr.


Was mich am Kathedralen-Anekdotentext auch stört, ist folgendes:

Der Text führt leicht dazu, den dritten Steinmetz in den Vordergrund zu rücken: Wenigstens dieser hat eine Vision, ein wirkliches Ziel, sieht das Ganze, das Zukünftige. Und mit dieser Vision steht er als Vorbild da.

Interessant ist aber, dass ganz klar drei Personen an der Kathedrale arbeiten, aber nur einem Drittel ist tatsächlich als ZIEL klar und bewußt vor Augen, woran er arbeitet. Was tun die anderen?
Einer tut, was er muss (um Brot zu verdienen und zu überleben). Er haut Steine, ohne dass irgendjemand die Frage stellt, ob er andere Dinge nicht viel besser könnte. Dinge, die der Allgemeinheit vielleicht nützen würden, aber nicht der Kathedrale. Seine Bedürfnisse, vielleicht sogar Nöte, die ihn dazu bringen, diese Arbeit zu tun, werden nicht thematisiert.

Ein anderer tut, was er besonders gut kann. Was ihm Spaß macht. Aber letztlich ist es ihm egal, ob er eine Kathedrale baut, eine Fabrikhalle oder eine Gruft. Er benutzt den Kathedralenbau als Gelegenheit, und seine Leidenschaft wird zum Zweck benutzt. Offensichtlich hat ihm niemand klar zu machen versucht, WOZU er denn Steine haut. Offensichtlich bringt er seine Tätigkeit nicht mit seiner Gottesbeziehung in Verbindung. Die Frage scheint berechtigt, wie denn eigentlich seine Gottesbeziehung aussieht. Aber niemand scheint mit ihm darüber gesprochen zu haben. Eine Kathedrale -und somit auch seine momentane Arbeit- hat aber nunmal mit Gott zu tun, und mit Gottesbeziehung.

Wir sehen an diesen Beiden: Den Bauherren war der Bau der Kathedrale wichtiger, als die Menschen, die daran mitbauen.

Moderne Betrachtung ist aber: Gemeinde wird aus den Teilnehmern gebaut. Nicht aus Gebäude. An vielen anderen Orten ist schon die Tendenz zeitgenössischer Gemeinden kritisiert worden, sich auf Gebäude zu fokussieren, und nicht erst seit Kurzem denkt man über Alternativen nach.
Gemeinde ist die Summe der Menschen an einem Ort.

Wichtiger als der Kathedralen-Bau, ist der Gemeindebau. Und womöglich wird durch einen Basar viel mehr zum Gemeindebau beigetragen, als man vorhersehen kann. Wie im Open-Source Bereich eben.

Viele Gedanken, viele Aspekte ... Der Text ist hier nicht zu Ende. Er fängt erst an ...